Er selbst nahm aus einer Vitrine in der Empfangshalle den Familiendegen und warf sich einen Mitrilharnisch über. Der Maormer-Prinz Agnor legte seine goldene Rüstung ab und schlüpfte in eine einfachere Plattenpanzerung. Sie wollten nicht auffallen, wenn sie in die Akademie einbrechen würden. Die Mission war so riskant, dass sich Jules, Falandril und Pol dazu entschlossen hatten, nicht darin involviert zu werden. Ralen hatte dies verstanden und seinen Kommilitonen eine gute Nacht gewünscht.
"He!" Ella war nun wirklich außer sich. Ihr Ehemann ignorierte sie und trieb sich mit seltsamen Gestalten herum. Vor allem die schöne junge Dany war der Altmer ein Dorn im Auge. "Was hast du vor, Ralen?", fragte sie erneut, diesmal eindringlicher. Sie stieg die Treppe hinab und stellte sich herausfordernd vor Ralen. Der Dunmer seufzte, Dany errötete vor Scham und Prinz Agnor lächelte geheimnisvoll vor sich hin. Dieses Lächeln konnte Ralen bei bestem Willen nicht deuten, also antwortete er seiner Frau: "Ella, es ist wirklich besser, wenn du nichts über unser Vorhaben erfährst. Wenn wir gefasst werden, sollen sie dich nicht der Mittäterschaft beschuldigen."
Ella wurde bleich. "Gefasst werden? Mittäterschaft? Willst du etwa ein Verbrechen begehen?!" Der Dunmer hatte sich verplappert. Innerlich verfluchter sich Ralen für seine eigene Dummheit. "Hör zu, Schatz", begann er und griff Ellas Hände, "Ich habe einige Hinweise gefunden. Ich bin der Schwarzen Krone unglaublich nahe..." Entrüstet stieß Ella ihn von sich weg. "Die Schwarze Krone", giftete sie, "ist eine Legende! Du bist besessen! Ich liebe dich doch! Zerstöre dein Leben nicht mit einem Hirngespinst!"
Enttäuscht schüttelte Ralen den Kopf. Sie verstand nicht. Wie konnte sie auch? Sie hatte nicht gesehen, was er und seine Gefährten gesehen hatten. Einer der Beschützer der Krone hatte sie angegriffen, das war Beweis genug, dass das Artefakt immer noch existierte. Agnor warf Ralen einen vielsagenden Blick zu. Ralen nickte. "Es tut mir leid, Ella..." "Was tut dir leid?", fragte Ella wütend.
Eine Sekunde später schlossen sich Ellas Augen und sie sackte in sich zusammen. Ralen fing seine Angetraute auf, während Dany einen quiekenden Schreckensschrei ausstieß. "W...was habt ihr getan?", fragte sie ängstlich die beiden Mer. "Ein Schlafzauber", erklärte Agnor seelenruhig, "Sie wird in etwa zwölf Stunden schlafen und sich hoffentlich an nichts mehr erinnern können, wenn sie wieder erwacht." "Danke", sagte Ralen und trug Ella die Treppe hinauf. Er legte sie in sein Bett, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich dann mit den Worten: "Es ist nur zu deinem Besten, meine Liebe..."
Mit getrübter Miene kehrte Ralen in die Eingangshalle zurück. "Habt Ihr Eure Angelegenheit geregelt?", fragte Agnor mit ein wenig Spott in der Stimme. "Ja. Wir können aufbrechen." Der Prinz nickte und zusammen mit Dany verließen sie die Villa und machten sich auf zur Akademie der Magiergilde.
***
Der Campus war von den Straßenlaternen nur schwach beleuchtet, deshalb war es kein Problem, ungesehen zum Hauptgebäude vorzudringen. Außer einigen Studenten war zu dieser späten Stunde keiner mehr auf den Beinen. Dany hatte ihnen erklärt, dass es auf dem Campus und in der Akademie selbst so gut wie keine Sicherheitsmaßnahmen gab. Wenn sie allerdings in die Schatzkammer hinabsteigen würden, könnte sie alles möglich erwarten. "Fallen, Monster, Albträume", hatte Dany erklärt. Ralen war es kalt den Rücken hinab gelaufen, doch Agnor verzog keine Miene. Der Dunmer wollte vor dem Prinzen nicht als Feigling dastehen, also riss er sich zusammen. Geduckt huschten die drei Gefährten den Gang zum Arbeitszimmer des Direktors entlang. Dort gab es einen Geheimgang, der hinab in die Tiefen der Akademie führte. So sagte zumindest Agnor. Woher der Maormer-Prinz das wusste, war Ralen ein Rätsel. Also fragte er nach. Agnor stieß nur einen gedämpften Lacher aus und erklärte: "Ich hab da meine Quellen. Zerbrecht Euch darüber nicht den Kopf, Lord Rethan." Ralen beließ es dabei. Der Prinz war ihm mehr als suspekt, bisher hat er aber keinerlei feindliche Handlungen gegen ihn unternommen.
Die Gefährten erreichten das Zimmer des Direktors. "Lasst mich das machen", sagte Dany und kniete sich vor die Tür. Die Dunmer zog eine Tasche aus dem Mantel und rollte sie auf dem Boden aus. Ein ganze Palette Dietriche und Sonden kam zum Vorschein. Geschickt zog die Frau einige der Werkzeuge heraus und begann, das Schloss der Tür zu bearbeiten.
Fasziniert beobachtete Ralen Dany bei der Arbeit. Er kannte einige Diebe, hatte bisher allerdings noch keinem bei der Arbeit zugesehen. Es dauerte keine Minute, dann schob sich der Riegel zurück. Dany grinste die beiden Männer breit an. "Nach Euch." Agnor und Ralen schoben sich in das Zimmer hinein. Dany schloss die Tür leise hinter ihnen. "Wo ist der Geheimgang?", fragte Ralen den Prinzen ungeduldig. Dieser legte lächelnd seine Hand auf Ralens Schulter: "Entspannt Euch, Lord Rethan. Wir haben alle Zeit der Welt." Seelenruhig durchschritt Agnor den Raum und näherte sich einem Bücherregal. Zielsicher griff er ein Buch und zog es heraus.
Es rumpelte, dann begann der Boden leicht zu beben. "Was zum...?" Das Regal, vor dem Agnor stand, verschwand im Marmorboden des Arbeitszimmers. Zum Vorschein kam eine Steintreppe, die sich in die Tiefe wandte. "Beeindruckend", stieß Dany hervor. Ralen schnaubte. "Langsam hab ich genug von diesen Geheimgängen. Bringen wir es hinter uns." Der Dunmer schob sich an Agnor vorbei und ging nach unten.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die Drei das Ende der Treppe erreicht hatten. Der Gang war in Dunkelheit gehüllt, so dass Ralen einige Male fast den Halt verlor. Agnor kicherte vor sich hin, während der Dunmer schimpfte wie ein Rohrspatz. Erst ganz unten ließ der Prinz ein Irrlicht erscheinen, das die Finsternis durchbrach. Ralen warf ihm einen gereizten Blick zu. "Weiter", befahl Ralen. Der Gang, der sich an die Treppe anschloss, schien gar nicht enden zu wollen. Ralen konnte gar nicht sagen, wie lange sie gerade aus, um Ecken, auf und ab liefen. "Wenigstens ist es kein Labyrinth", murmelte Dany vor sich hin. Sie hatte Recht. Ein Labyrinth würde die Sache deutlich erschweren. So mussten sie nur dem Gang folgen.
Urplötzlich tauchte eine Tür vor der Gruppe auf. "Ah!" Ralen war so überrascht, dass er gegen das harte kalte Eisen stieß. Agnor lachte erneut. "Oh? Hab Ihr Euch verletzt, mein Lord?" "Nein", presste Ralen hervor, "Euer Gnaden." Um sich nicht weiter mit dem Prinzen herumzuschlagen zu müssen, lehnte sich der Dunmer gegen die schwere Tür. Knarrend schob sie sich ein Stück auf. "Nicht verschlossen. Aber sie klemmt. Helft mir." Angor und Dany drückten sich nun ebenfalls gegen die Eisentür. Langsam öffnete sie sich, Zoll um Zoll. Licht schien durch den Spalt.
Ein letzter Ruck und die drei Gefährten standen in einer gewaltigen Halle. Ralen fiel die Kinnlade herab. Meterhoch ragte die Decke nach oben. Gehalten wurde der Stein von gewaltigen Säulen. Ralen konnte das Ende der Halle gar nicht sehen, denn nur spärlich brannten Fackeln. "Wir müssen die Scheibe so schnell wie möglich finden", erklärte der Dunmer, "die Sonne wird bald aufgehen. Wenn uns jemand sieht sind wir dran. Wir..." "Still!" Ralen blinzelte verdutzt. Agnor hatte ihm das Wort abgeschnitten und sein Schwert gezogen. "Was ist?" "Ich sagte still!", zischte der Prinz, "Hört!" Mit gespitzten Ohren lauschten Ralen und Dany in die Halle hinein. Und tatsächlich konnten sie etwas hören: ein Schlurfen und ein Grunzen. "Monster", flüsterte Dany verängstigt. Agnor überging das Gejammer der Dunmer und ging äußerst vorsichtig tiefer in die Halle hinein. Ralen fasste sich ein Herz und tat es ihm gleich. Aus Angst, alleine gelassen zu werden, quiekte Dany kurz auf, schloss dann aber zu den beiden Männern auf.
Die Atmosphäre konnte gar nicht unheimlicher sein: spärliches Licht und mysteriöse Geräusche. Er wollte es sich zwar nicht eingestehen, doch Ralen bekam es langsam mit der Angst zu tun. Würde er hier unter wohlmöglich seinen Tod finden? Er war doch noch viel zu jung, um zu sterben! Einige Minuten – dem Dunmer kam es wie Stunden vor – ging die Gruppe die Halle entlang. Agnor voraus, die beiden Dunmer hinterher. Plötzlich ertönte rechts von ihnen ein markerschütterndes Brüllen. Der Maormer fuhr herum und ging in Kampfstellung. Auch Ralen zog seinen Degen. Nur Dany stand starr vor Furcht da.
Aus der Dunkelheit hinter den Säulen löste sich ein Schatten und näherte sich den Gefährten. Erst als das Irrlicht die Gestalt beschien, konnten sie ausmachen, um welches Ungeheuer es sich handelte. "Ogrim!", rief Agnor und hob das Schwert. "Macht schon", meinte Ralen ängstlich, "Grillt das Vieh!" "Das geht nicht!", gab der Prinz zurück. "Was?!" Agnor drehte sich zu Ralen um. In seinen Augen stand ebenso die Furcht wie bei den Dunmern. "Meine magische Energie", erklärte er, "rührt von den Verzauberungen meiner Rüstung. Ohne sie kann ich nur schwache Zauber wirken!"
Kalte Wut überkam Ralen. Dieser Bastard hatte sie betrogen! Er hatte Agnor nur in ihre Nachforschungen eingeweiht, weil er glaubte, der Prinz sei ein mächtiger Magier. Nun stellte sich heraus, dass er nur mit seiner Rüstung diese Fähigkeiten besaß? "Und was jetzt?!", fragte Ralen schließlich gereizt. Für Streit war wahrlich keine Zeit. "Jetzt werde ich diese Bestie mit meinem Schwert beschäftigen. Ihr und die Dame lauft weiter in diese Richtung. Ich komme nach, sobald der Ogrim tot ist." Ralen wollte noch etwas erwidern, doch der Ogrim hatte sich entschlossen, endlich zum Angriff überzugehen. Der Daedroth schwang die Keule, die er in der Rechten hielt, mit voller Wucht nach Agnor. Der Prinz konnte gerade eben noch zur Seite springen. Krachend schlug die Waffe auf dem Boden auf. Splitter flogen in alle Richtungen hinweg. "Lauft!", schrie Agnor die Dunmer an, während er einem weiteren Hieb auswich.
Ralen packte die starre Dany an der Hand und zog sie grob mit sich. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, verschwanden die beiden Dunmer in der Dunkelheit.
***
"Bei den Göttern´", keuchte Dany, "Dieses...Monster wird den Prinzen töten! Wir müssen doch etwas tun!" Ralen ignorierte ihr Gejammer und rannte weiter die Halle entlang. "Ralen!" Er blieb so abrupt stehen, dass Dany beinahe in ihn hinein lief. Ralen packte sie an den Schultern und stieß sie grob gegen eine der Säulen. Dany schrie spitz auf.
"Hört mir zu", zischte Ralen wütend, "Wir können nichts tun. Wenn wir jetzt umkehren, sind wir ebenso tot! Wenn wir allerdings die Schatzkammer erreichen, sind wir vorerst sicher! Dann können wir immer noch überlegen, wie wir Agnor helfen! Aber jetzt müsst Ihr Euch zusammenreißen! Habt Ihr mich verstanden?"
Sie blickte Ralen direkt in die Augen. Dort konnte sie Wut, Angst und auch eine Spur Wahn erkennen. Sie war zu eingeschüchtert, um wiedersprechen zu können: "J...ja." Erleichtert ließ Ralen von ihr ab. "Gut. Dann weiter." Sie begannen wieder zu rennen. Dabei versuchte Dany verzweifelt, die Kampfgeräusche zu ignorieren, die noch immer zu ihnen drangen. Allerdings war es ein gutes Zeichen, überhaupt noch etwas zu hören. Stille würde Agnors Tod bedeuten...