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Nach Abschied kommt Wiedersehen

Sasie
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Nach Abschied kommt Wiedersehen

Beitragvon Sasie » Do 18 Jun, 2009 15:26

Nach Abschied kommt Wiedersehen

Ich stand am Bahnhof, umgeben von hundert oder auch tausend Kindern und Erwachsenen. Sie umarmten Verwandte, die mit dem Zug angekommen waren, oder sie riefen mit lauter Stimme Grüße und Abschiedsworte über den Bahnsteig. Auf meine Frage, ob man mich vorbei lassen könnte, reagierte niemand. Sie ging wohl in dem Stimmengewirr unter. Mir blieb nichts anderes übrig als zu drängeln, obwohl ich einige böse Blicke erntete. Ein stämmiger Mann versuchte sogar, mich am Kragen festzuhalten und mich zur Rede zu stellen. Das ignorierte ich alles. Nachdem ich bestimmt zehn Minuten zwischen Koffern und Taschen umhergeirrt war und mich langsam verloren fühlte, fand ich endlich den richtigen Weg zu den Gleisen und stand vor einem langen Schnellzug. Er fuhr von Hannover nach Berlin. Das musste er sein. Mein Blick schweifte umher. Wo war meine Mutter? Hoffentlich hatte sie den Zug noch nicht betreten, hoffentlich wartete sie noch auf mich! In meinem Kopf drehte sich alles. Ich stolperte nach hinten und fiel über ein Paar Füße. Kurz darauf blickte ein mir gut bekanntes Gesicht auf mich hinab. „MAMA!“ schrie ich, sprang auf und fiel meiner Mutter um den Hals. „Ich dachte, du wärst schon im Zug!“ „Glaubst du, ich fahre los, bevor ich mich von dir verabschiedet habe?“, flüsterte sie mir ins Ohr. Ich vergrub mein Gesicht in ihrer Jacke. Auf diese Frage wollte ich nicht antworten, denn genau das war mir ja in den Sinn gekommen. „Da hätte ich doch lieber den nächsten Zug genommen“, sagte sie. Ich versuchte zu nicken. Da merkte ich erst, dass ich erst, dass ich Sturzbäche weinte. Es hätten natürlich Freudentränen sein können, aber das glaubte ich nicht, denn ich war definitiv nicht glücklich. „Du sollst nicht weggehen“, schluchzte ich. Zu meiner Enttäuschung schüttelte meine Mutter den Kopf. „Ich halte das nicht mehr aus. Es geht einfach nicht mehr.“ Ich schluckte, in meinen Augen brannten erneut die Tränen. Ich wollte es nicht verstehen, aber meine Mutter hatte Recht. Es war genug.
Seit ich denken konnte, haben sich meine Eltern nicht vertragen. Sie hatten schon immer verschieden Ansichten. Egal ob es um das Einkaufen, das Kochen oder Termine und Urlaubsplanung ging, meine Eltern fanden immer einen Grund zum Streiten. Immer wenn Papas Freunde zu Besuch waren, ging meine Mutter mit mir einkaufen oder ein Eis essen, nur damit sie nicht dabei sein musste. Als Mama mit uns bei ihren Eltern Weihnachten feiern wollte, kam mein Vater nicht mit, weil er sich mit diesen nicht verstand. Ich wusste nie, auf wessen Seite ich mich stellen und wem ich gehorchen sollte. Wie kann man denn von einem Kind verlangen, dass es sich zwischen Mutter und Vater entscheidet? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: So etwas kann man nicht tun.
Ich konnte mich gut an die Nacht erinnern. Es passierte etwa eine Woche bevor ich an diesem Bahnhof stand, um mich von meiner Mutter zu verabschieden. Es war etwa halb elf, als ich hörte, wie meine Eltern im Wohnzimmer diskutierten. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen. Das Diskutieren wurde zu Streiten , und aus diesem Streiten wurde Gebrüll. Ich kroch unter meine Decke und hielt mir die Ohren zu, um nicht zu hören, was sie sagten, denn ich wollte es nicht wissen. Eine Viertelstunde später rannte meine Mutter wutentbrannt die Treppe hoch und schlug die Schlafzimmertür hinter sich zu. Ich versuchte wach zu bleiben, aber irgendwann fielen mir die Augen zu. Am nächsten Morgen war meine Mutter nicht mehr da. Mein Vater saß alleine am Tisch. Ich brauchte nicht zu fragen, denn ich wusste was passiert war. Am Nachmittag suchte ich Mamas Handynummer heraus und rief sie an. Sie hatte bei einer Freundin in der Nähe übernachtet. Ich durfte natürlich vorbeikommen, aber zurück nach Hause wollte meine Mutter nicht. Als ich das zweite Mal kam, saß meine Mutter am Computer und schaute sich Wohnungen an. Da wurde mir klar, dass es vorbei war, dass sie wegziehen würde. Ich bin nach Hause gelaufen. Ich wollte meinem Vater irgendetwas sagen, aber ich konnte es nicht. Mir fehlten die Worte. Er fragte auch nicht. Wahrscheinlich wusste er es schon. Meine Mutter fing an, ihre Sachen zu packen. Ich konnte nur zuschauen. Die ganze Zeit hatten wir nur über die Sache geschwiegen und ich hatte das Gefühl gehabt, als würde ich daran ersticken. Ich wollte tapfer sein, für meine Eltern.
Doch jetzt musste es raus, ich konnte es einfach nicht aufhalten. Ich fing lauthals an zu weinen. Meine Mutter drückte mich erschrocken an sich und ich spürte, wie sich ihre Händen an meinen Ärmeln festkrallten. Und dann fing auch sie an zu weinen. „Es wird alles wieder gut“, flüsterte sie. „Du brauchst keine Angst zu haben.“ Wir müssen wohl ein paar Minuten so gestanden haben, obwohl es sich anfühlte, als hätte die Zeit stillgestanden. Denn plötzlich ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher und forderte die Fahrgäste auf, jetzt den Zug zu betreten, da er in den wenigen Minuten den Bahnhof verlassen würde. Mama drückte mir schnell einen Zettel in die Hand. Ihre neue Telefonnummer stand darauf. „Du darfst mich anrufen, wann immer du willst. Und in zwei Wochen kommst du mich besuchen“, tröstete sie mich und ich versuchte, tapfer zu lächeln, doch dann mussten wir uns beeilen, denn die Zugtüren fingen an, sich zu schließen. Meine Mutter konnte gerade noch ihren Fuß dazwischen stellen. Sie drückte mich ein letztes Mal ganz fest an sich, dann trug sie ihr Gepäck die Stufen hoch und verschwand zwischen all den Leuten.
Ich blieb still am Bahnhof stehen. Gleich, in wenigen Sekunden, würde der Zug abfahren. Mit meiner Mutter. Ohne mich. Ein letztes Mal sah ich durch eines der Fenster hinein. Und wie es der Zufall wollte, setzte sich meine Mutter genau auf diesen Platz und winkte mir zu. Dann fuhr der Zug los. Erst langsam, doch dann immer schneller. Und ich lief hinterher , bis ich nicht mehr konnte und aufgab. So stand ich am Bahnsteig, nur mit einem Zettel in der Hand und Tränen in den Augen. Und irgendwo, ganz tief in meinem Herzen, sagte mir etwas, dass es so am Besten war und das alles wieder gut werden würde. Ich durfte meine Mutter besuchen, sie anrufen und sie etwas fragen. Natürlich würde sich etwas ändern in meinem Leben. Aber es würde weitergehen. Denn nach Abschied kommt Wiedersehen.

Damien
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Beitragvon Damien » Do 18 Jun, 2009 16:14

Wow, die Geschichte spiegelt wieder wie viele Scheidungskinder sich fühlen...
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Ich habe meine Fussballnation gefunden, geschlagen von einem Fussballmonster... Für immer Costa Rica!

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