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[HP] The bouquet of wild flowers (3) (LE/JP)

Jane Austen
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[HP] The bouquet of wild flowers (3) (LE/JP)

Beitragvon Jane Austen » Do 05 Mär, 2009 20:49

Titel: The bouquet of wild flowers
Autor: Jane Austen
Altersbeschränkung: ab 14 Jahre
Genre: Romanze, Drama, Fantasie
Hauptcharakter: Lily Evans, James Potter
Inhalt:
Wir machen eine kleine Zeitreise und landen im Jahre 1912. Die magische Welt wird von Lord Voldemort unterdrückt. Zauberer und Hexen müssen ihre Existenz geheim halten und dürfen keinen Kontakt zu Muggeln haben. (Also gibt es keine Muggelgeborene!)
Die achtzehnjährige Lily Evans ist ein ganz normales Mädchen, das im Rollstuhl sitzt und nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrer strengen Tante und Onkel leben muss, die der Meinung sind, Lily müsse heiraten. Sie zwingen Lily zu einer arrangierten Ehe mit dem reichen Vernon Dursley, der die schlecht finanzielle Lage der Familie retten soll. Lily, die alles andere als einverstanden ist, versucht zu fliehen, um ihren Pflichten zu entkommen, wird aber dann von Todessern überfallen, die Lily zum Spaß umbringen wollen. Unter ihnen befindet sich der Zauberer James Potter, ebenfalls ein Todesser, der Lord Voldemort sehr nahe steht, Lily zum Entsetzen aller hilft und durch die Liebe zu ihr jede Regel bricht...
Anmerkungen:
Wie man schon am Inhalt erkennen kann, ist diese FF etwas anders, wahrscheinlich eine sehr verrückte Idee und nicht für jeden Geschmack geeignet. Da ich aber der Meinung bin, dass es genug FFs gibt, die im siebten Schuljahr von James und Lily spielen, habe ich mir erlaubt ein paar Fakten zu ändern und die Charakter in eine andere Zeit zu „setzen“. (Eigentlich lebten Lily, James, Voldemort etc. ja 1912 noch nicht.)
Jede Kritik ist erwünscht. Ich weiß ja, dass die Idee dieser FF sehr...gewöhnungsbedürftig ist, oder schwachsinnig?


Gefühle sind das, was du nicht beschreiben kannst

1. Alltag im Gefängnis

Eine leise und sanfte Musik erfüllte das kleine Schulzimmer, als ich meinen Blick auf die Tasten des alten Klaviers senkte und meine Finger-zitternd vor Nervosität und voller Angst einen Fehler zu machen- langsam über das wertvolle Elfenbein wanderten.
So steif, dass man hätte meinen können, mir wurde eine scharfe Klinge an die Kehle gehalten, die Stirn in Falten gelegt und die Zungenspitze konzentriert zwischen die Lippen geschoben, saß ich vor dem Instrument, welches ich abgrundtief hasste, während ich vergeblich versucht das lange Lineal zu ignorieren, das keine zehn Zentimeter über meinen Händen schwebte, jede meiner Bewegungen genau verfolgte.
Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass die blassen Augen meiner Klavierlehrerin mich fixiert hatten wie ein Jäger seine Beute, denn diese Todesblicke und dieser störrische Schrecken von einem Holzstab waren der Grund warum ich nachts keine Ruhe mehr fand und das seit nun schon drei Monaten.
Dass Miss Wilkinson-Hume jemals Konkurrenz bekommen könnte, hätte ich nie für möglich gehalten, bis ich Bekanntschaft mit Miss Shadlock machen durfte, die wie Blitz in mein Leben eingeschlagen war und offenbar Miss Wilkinson-Humes Tradition fortführen wollte -die Hölle, in die ich geboren worden war noch unerträglicher zu gestalten.
Zu meinem eigenen Wohl, wie sie behauptete.
Seit ich denken konnte, war Miss Wilkinson-Hume meine Erzieherin und Hauslehrerin gewesen. Siebzehn Jahre lang hatte sie mich gedemütigt, mir alle endlosen Regeln der Höflichkeit und des guten Benehmens so lange in den Kopf gepflanzt, bis sie mir fast aus den Ohren geflossen waren, mir erst Pausen gegönnt, wenn ich alle schrecklichen lateinischen Zeitformen im Schlaf aufsagen konnte.
Am schlimmsten jedoch war gewesen, dass sie an mir geklebt hatte wie mein zweiter Schatten. Keine Sekunde war sie von meiner Seite gewichen, immer bereit mich wegen irgendwelchen Nichtigkeiten zu tadeln.
„Lilian, ist das da eine Falte in deinem Kleid?“
„Lilian, benutzt du etwa das Fischmesser für dein Steak?“
Herrgott, mit diesen Verbrechen hatte ich bestimmt die ganze Welt empört!
Ich hatte Tränen der Erleichterung vergossen, als diese grässliche Frau mit einem „Lebt wohl“ durch die Tür verschwunden war.
Vielleicht hätte ich zum ersten Mal etwas Privatsphäre bekommen, obwohl meine Tante und die Hausangestellten mich mit Argusaugen bewachten, wäre Miss Shadlock nie zur Teegesellschaft meiner Tante erschienen und hätte ihr erzählt, dass heutzutage jede wohlerzogene junge Dame Klavier spielte.
Kaum war diese Information zu meiner Tante durchgedrungen und in ihrem Gehirn abgespeichert, hatte sie Miss Shadlock, die ganz zufällig Klavierunterricht gab, beauftragt es mir beizubringen.
So quälte ich mich Tag für Tag durch die Stunden, während ich mich fragte, wann meine Tante endlich begreifen würde, dass ich völlig untalentiert war.
Ohne mein Spiel zu unterbrechen, schielte ich vorsichtig zu Miss Shadlock rüber, die aufrecht wie ein Soldat neben mir stand. Ihr knochige Hand umschloss wie erwartet mit aller Kraft das Lineal, das immer noch wachsam meinen Fingern folgte. Einzelne weiße Strähnen hatten sich von ihrem Haarknoten gelöst und tanzten vor ihrem Gesicht, das zu einer merkwürdigen Grimasse verzogen war, als ob sie in eine sehr saure Zitrone beißen würde. Ihre Wangen waren gerötet, die Lippen über ihre Pferdezähne gespitzt, als wollte sie jemandem küssen-alles Zeichen dafür, dass sie erschöpft und entnervt war.
Ich wusste, dass es sich nicht gehörte, aber ein wenig Schadenfreude konnte ich nicht unterdrücken.
Der Geduldsfaden war ihr schon vor Wochen gerissen. Sie hatte längst verstanden, dass ich was das Klavierspielen betraf ein hoffnungsloser Fall war.
Zu meinem Bedauern, würde sie das nie zugeben. Dafür war die Bezahlung viel zu großzügig. Eine Sache, die mich besonders störte.
Meine Tante wusste doch genau, dass wir zur Zeit finanzielle Probleme hatten. Da waren unnötige Klavierstunden keineswegs das, was wir brauchten. Aber nein, wir mussten ja jeder Mode nacheifern.
Endlich, als Miss Shadlock sich für einen kurzen Moment von mir abwandt und die teuren, dunklen Möbel, die selbst hier im Schulzimmer vorhanden waren, bewunderte, wagte ich einen schnellen Blick auf die große Standuhr, bereute es aber gleich wieder, als ich ein schräges Etwas zwischen dem einigermaßen richtigen Gewebe verflochtener Töne hörte.
Der falsche Ton war nicht einmal ausgeklungen, da spürte ich schon den harten Schlag des Lineals auf meinen Händen, die mit einem Zucken zurückfuhren. Hastig biss ich mir auf die Zunge, um keinen Laut von mir zu geben.
„Lilian, konzentriere dich!“, befahl Miss Shadlock mit ihrer unangehnemen, nasalen Stimme.
Strenge Erziehung, Vernunft und die Befürchtung, meine Tante könnte davon erfahren, hielten mich von einer unartigen Bemerkung ab.
Statdessen murmelte ich knapp: „Verzeihung, Miss Shadlock.“
Miss Shadlock klopfte mir mit dem Lineal auf die Schulter -fest, sehr fest. „Also, nochmal von vorne. Eins, zwei, drei...“
Obwohl sich ein stechender Schmerz in meinen Händen ausbreitete und ich mit dem fast unwiederstehlichen Drang kämpfte, über sie zu reiben, legten sich meine Finger gehorsam wieder auf die Tasten und begannen, das Lineal über ihnen schwebend, zu spielen.
Es verstrichen mehrere Minuten, in denen ich es tatsächlich schaffte meine Aufmerksamkeit ausschließlich der Komposition zu schenken, die sogar der Mozarts ähnelte, bis die Türglocke Miss Shadlock und mich aufschrecken ließ.
Innerlich seufzte ich erleichtert auf. Dem Himmel sei Dank!
Diese Glocke läutete jeden Tag pünktlich um halb fünf meine Freiheit ein. Nun, zumindest erlöste sie mich aus diesem Albtraum von Klavierstunden.
Meine Retterin war meine Tante, die um diese Uhrzeit vom Tee bei den Nachbarn zurückkehrte und gleich ins Schulzimmer rein marschiert kommen würde.
Ich nutzte den Augenblick, den Miss Shadlock wie gewöhnlich damit beschäftigt war ihre Röcke glatt zu streichen, den Kragen ihrer hochgeschlossenen Spitzenbluse zu richten und ihr Haar zu ordnen (Welche Mühe sie sich gab, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.) und blickte aus dem Fenster. Enttäuscht stellte ich fest, dass es regnete.
Dicke Wolken bedeckten den Himmel. Durch den Regen wirkte London grau, trostlos und wegen des dichten Nebels erkannte man die Häuser, vorbeiziehenden Kutschen, Menschen, die durch die Straßen eilten und die luxuriösen Automobile, die mein Onkel als Geschenk der Neuzeit bezeichnete, nur verschwommen.
Aus der Eingangshalle vernahm ich Geräusche, die ohne jeden Zweifel von meiner Tante stammten, die sich, lauthals über den ungenießbaren Tee der Cuddfords klagend, von Sebastian, dem Butler, aus dem Mantel helfen ließ.
„Miss?“ Eine schüchterne Stimme drang in meine Ohren.
Ich wandte mich um und sah in das junge, hübsche Gesicht meiner Zofe Ruby.
„Brauchen Sie einen kalten Lappen?“, fragte sie und musterte mich so besorgt, als würde ich im Sterbebett liegen.
Ich schaute auf meine schmerzenden Hände runter, die sich in den schottengemusterten Stoff der Wolldecke gekrallt hatten, in die meine Beine eingewickelt waren und warm halten sollte und bemerkt erstaunt, dass meine Knöchel dunkelrot gefärbt waren.
Wie oft hatte mich der Schrecken des Holzstabes denn heute erwischt?
„Nein!“, sagte ich rasch. „Es geht schon. Danke, Ruby.“
Rubys himmelblauen Augen betrachteten mich zweifelnd.
„Es ist wirklich alles in Ordnung“, beteuerte ich. Ihre Sorge rührte mich sehr, dennoch wollte oder besser ausgedrückt durfte ich keine Schwäche zeigen, obwohl ein kühles Tuch, das dieses entsetzliche Pochen bändigte, ein verlockendes Angebot war.
Ich setzte ein möglichst überzeugendes Lächeln auf, aber Ruby durchschaute mich sofort. Sie war die einzige Person, die hinter meine Fassade blicken konnte.
Ruby gab schließlich nach, wenn auch wiederwillig und eine Augenbraue missbilligend gehoben, machte einen Knicks und zog sich in die Ecke zurück, in der sie, still wie ein Mäuschen und mir mitleidvolle Blicke zuwerfend, gekauert hatte. Sie war sich meiner Sturheit bestens bewusst. Diese war einer meiner Eigenschaften, die Miss Shadlock, meiner Tante und meiner Erzieherin schon einiges an Kraft gekostet hatte.
„Sturheit ist keine Tugend, Lilian“, hatte Miss Wilkinson-Hume kopfschüttelnd gesagt. „Und gewiss nicht etwas, worauf man stolz sein sollte.“
Selbstverständlich.
Unterdessen galt mein Blick erneut der Standuhr -fünf nach halb fünf.
„Drei, zwei, eins...“, zählte ich leise.
„Nun, machen wir Fortschritte?“ Mit energischen Schritten (Mich wunderte es immer wieder aufs Neue, wie schnell ihre kurzen Beine sie tragen konnten) betrat meine Tante, den dicken Bauch so gut es ging unter einem Korsett versteckt und in ein elegantes blaues Kleid aus Satin gezwängt, das mit jeder ihrer Bewegungen zu platzen drohte und einen merkwürdigen Kontrast zu der roten Tapete der Wände bildete, den Raum. Die Falten in ihrem Mopsgesicht wirkten noch tiefer, gefüllt mit Aufregung und ich fragte mich, worüber sie sich so geärgert hatte.
Obwohl... Vielleicht war das einer dieser Rätsel, die lieber nicht aufgedeckt werden sollten, außerdem würde ich es spätestens beim Abendessen erfahren, wenn sie darüber schimpfen oder spotten würde.
Hinter ihr tauchte das Dienstmädchen Hope auf, den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, als fürchtete sie, meine Tante würde gleich ein Gewehr hervorzaubern und auf sie schießen.
„Steh gefälligst gerade!“, fuhr meine Tante sie im gebieterischen Ton an und Hope zuckte am ganzen Leib erschrocken zusammen.
Ich spürte, wie eine Welle Mitleid mich überrollte. Armes Ding. Sie war keine sechzehn, neu bei uns und hatte sich noch nicht richtig eingelebt. Besonders mit meiner Tante schien sie nicht zurechtzukommen. Verständlich, da diese ein wenig...gewöhnungsbedürftig war.
Hope, bebend vor Angst, strafte den Rücken.
„Schon besser“, sagte meine Tante zufrieden, streifte die weißen Handschuhe ab und reichte sie ihr. „Du kannst gehen.“
Hope machte wie Ruby einst einen Knicks und wackelte offenbar auf butterweichen Knien davon.
„Guten Tag, Ma´am“, begrüßte Miss Shadlock meine Tante strahlend lächelnd und deutete eine höfliche Verbeugung an.
„Guten Tag, Tante Elizabeth“, begrüßte ich sie ebenfalls, bemüht respektvoll zu klingen.
„Miss Shadlock.“ Tante Elizabeth neigte leicht den Kopf in ihre Richtung, doch ihre grünen Augen –das Einzige Merkmal, das auf unsere Verwandtschaft hinwies- blieben kalt und ungerührt.
„Lilian entwickelt sich ausgezeichnet“, log Miss Shadlock übertrieben munter drauflos. „Sie ist sehr talentiert.“
Der Zorn kochte in mir auf, so sehr ich mich auch gegen ihn wehrte. Ich atmete ein paar Male tief durch, um mich zu beruhigen und versuchte mir meine Wut nicht anmerken zu lassen.
Gemeine, hinterhältige, einschleimende, heuchlerische...Heuchlerin!
Könnte Tante Elizabeth Gedanken lesen, dürfte ich mir jetzt meinen Grabstein aussuchen.
„Das sind großartige Neuigkeiten“, sagte Tante Elizabeth teilnahmelos und ließ sich auf dem nächstgelegenen Stuhl nieder, der ein gefährliches Knacken von sich gab. „Ich bin davon überzeugt, dass die Eltringhams entzückt sein werden.“
Plötzlich begann sie zu strahlen, als würde man sie von innen beleuchten und verkündete voller Stolz: „Sie geben einen Ball, zu dem viele wichtige Persöhnlichkeiten kommen werden und wir sind eingeladen.“
Alamiert hochrte ich auf. Panik und Unglauben ergriffen mich. Sollte das etwa bedeuten...?
Aus dem Augenwickel sah ich zu Miss Shadlock, die deutlich blasser um die Nasenspitze war.
„Ähm, Ta-tante Elizabeth?“, stammelte ich, trotz aller Bemühungen unbekümmert zu erscheinen. „Willst du damit sagen, dass ich ebenfalls eingeladen bin und“, -ich brachte die Worte kaum über die Lippen-, „Klavier spielen soll?“
Neben mir schnappte Miss Shadlock verzweifelt nach Luft.
Tante Elizabeth blickte mich strafend und empört zugleich an. „Hör auf zu stottern, Kind! Was sind das denn für Manieren? Und selbstverständlich bist du eingeladen. Es wäre auch äußerst unhöflich, wenn nicht.“
Das Blut wich mir aus dem Gesicht und schien in meinen Adern zu gefrieren, aber gleichzeitig meldete sich- wenn auch ganz klein, verkrochen in meinem Bauch- das Gefühl der Hoffnung. Durfte ich endlich raus?
Inzwischen war Miss Shadlock offenbar kurz davor in Ohnmacht zu fallen.
„Aber du kommst natürlich nicht mit“, fuhr Tante Elizabeth fort und schüttelte sich bei der Vorstellung.
Sehr schmeichelhaft, dachte ich sarkastisch und sank enttäuscht in meinem Stuhl zusammen, während Miss Shadlock einen Seufzer ausstieß und wieder ein wenig Farbe annahm.
„Tante Elizabeth?“, sagte ich, ohne nachzudenken. „Könnte ich vielleicht doch mitkommen?“
Dieser Satz war aus meinem Mund gerutscht, ohne dass ich es überhaupt richtig realisiert hatte.
Die von mir vorrausgesehene Reaktion meiner Tante traf augenblicklich ein: Tante Elizabeths Gesichtszüge entglitten. Sie blinzelte ungläubig, wirkte für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich sprachlos, (Meine Tante!) bevor sie mich so entsetzt anschaute, als würde ein nackter Mann vor ihr stehen. „Wie um Himmels Willen kommst du auf so eine Idee?“
Ich räusperte mich. „Nun, ich bin achtzehn Jahre alt und somit alt genug für einen Ball und ich dachte-“
„Kind, haben wir nicht oft genug darüber gesprochen?“, unterbrach sie mich seufzend. Sie klang leicht gereizt.
Der letzte Funken Hoffnung schwand.
„Entschuldige, Tante Elizabeth.“ Ich konnte die Traurigkeit in meiner Stimme nicht verbergen.
Tante Elizabeth seufzte erneut und hievte sich vom Stuhl hoch, der ein weiters Mal knackte und auch ihr Kleid ließ verdächtige Geräusche hören, als würde gleich jede einzelne Naht reißen. „Mein liebes Kind, du weißt, dass es nur zu deinem Besten ist, wenn du im Haus bleibst. Ich will dir nichts böses, sondern dich beschützen. Du weißt, wie die Leute reden und gucken, wenn sie dich sehen. Außerdem was ist mit deinem Onkel? Wie meinst du, würden alle in der Bank reagieren, wenn sie dich sehen? Es wäre ein Skandal! Wir würden unser Ansehen verlieren und unser Name ist das Einzige, was uns noch über Wasser hält. Willst du das?“
„Nein!“, flüsterte ich. Schreckliche Schuldgefühle nagten an mir. „Nein, natürlich nicht.“
Tante Elizabeth kreuzte die Arme vor der Brust und nickte mit wichtigtuerischer Miene. „Das will ich auch schwer hoffen. Es wäre äußerst undankbar von dir so etwas zu wollen, wo wir dich aufgenommen haben, dich großgezogen und durchgefüttert haben, anstatt dich in einem Waisenhaus verrotten zu lassen.“
„Und dafür bin ich euch auch sehr dankbar“, sagte ich ehrlich. Ein dicker Klos bildete sich und steckte wie ein schwerer Steinbrocken in meinem Hals.
Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
„Gut, dann will ich, dass du dich zusammenreißt und mit dieser lächerlichen Gefühlsduselei aufhörst. Du bist kein Säugling mehr.“ Sie zupfte ihre Röcke zurecht und nickte dann Miss Shadlock zu, die wie bestellt und nicht abgeholt am Klavier lehnte und neugierig unserem Gespräch lauschte. „Ich gehe mich fürs Abendessen umziehen. Guten Tag, Miss Shadlock.“
Ich holte tief Luft, strafte die Schultern und setzte eine betont gelangweilte Miene auf -eine Maske. Eine Maske, wie ich sie immer trug, um mein Inneres nicht zu zeigen, in dem ein Chaos aus Trauer, Wut und Schmerz tobte.
Tante Elizabeth war an der Eichentür angelangt. Ihre kleinen Wurstfinger umschlossen bereits die Klinke, als sie sich noch einmal zu mir umdrehte und mich spöttisch anfunkelte.
„Wie hättest du überhaupt zum Ball transportiert werden sollen?“ Sie gluckste und Miss Shadlock lachte gekünstlich.
Mit einem Mal fiel die Maske. Mein Körper verkrampfte sich, mein Hände gruben sich so fest in die Wolldecke, dass das Rot meiner Knöchel wich und sie statdessen weiß hervortraten. Tränen bahnten sich den Weg nach draußen.
Nein. Ich durfte nicht weinen. Nicht vor Tante Elizabeth und Miss Shadlock.
Nur Kleinkinder weinen, nicht erwachsene junge Damen, erinnerte ich mich.
Zu meinem Ärger umsonst.
Hastig senkte ich den Kopf und wischte mir unaufällig mit dem Ärmel über die Augen. Ich sah erst wieder auf, als die Tür hinter Tante Elizabeth zu gefallen war und Miss Shadlock ihre Sachen zusammengepackte hatte und ebenfalls verschwunden war.
Tante Elizabeth hatte einen sehr wunden Punkt getroffen.
Schon mein ganzes Leben lang hatte ich mich mit einem Problem auseinandersetzen müssen. Ich konnte nicht laufen.
Ich war gekettet an einen Rollstuhl und eingesperrt in meinem eigenen Zuhause.
Es war wie im Gefängnis.

Liebe ist, wenn Verstand und Logik dich verlassen
Zuletzt geändert von Jane Austen am So 13 Sep, 2009 07:48, insgesamt 4-mal geändert.

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Beitragvon Jane Austen » Mi 08 Apr, 2009 18:59

Gefühle sind das, was du nicht beschreiben kannst

2. Unannehmlichkeiten am Morgen

Das Aufschlagen und Klackern von Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster weckte mich am nächsten Samstagmorgen. Ganz plötzlich drangen die Geräusche unatürlich laut in meine Ohren, rissen mich aus einem Durcheinander beängstigender Bilder, die ich noch eben deutlich hatte vor mir sehen können.
Zutiefst erschrocken schlug ich keuchend die Augenlider auf und fand mich schweißgebadet und am ganzen Leib zitternd in der vollkommenen Dunkelheit wieder, einen Bruchteil der Sekunde völlig verwirrt und ahnungslos, was geschehen war.
Erst als der Schrecken verebbte, die schwarzen Gestalten, die mich verfolgt hatten, ganz verschwunden waren, wurde mir bewusst, dass ich mich gut behütet in meinem Schlafzimmer befand und lediglich schlecht geträumt hatte.
Ich lag völlig ruhig da, bewegungslos wie eine Statue, spürte die vertraute Nähe meines weichen Bettes und konzentrierte mich darauf langsam und möglichst gleichmäßig zu atmen, um mich zu beruhigen, doch nur stickige, verbrauchte Luft füllte meine Lungen, die den widerlichen metallischen Geschmack auf meiner Zunge verstärkte. Der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben, erfüllte auf eine beruhigende Weise die unangenehme Stille, die mich umgab und ich lauscht jedem einzelnen Tropfen, dessen Laute sich mit dem wilde Pochen meines Herzens mischten, das aus meiner Brust springen zu wollen schien.
Dann hörte ich erneut die Hufe der Pferde, die schnaufend weiter zum Nachbarhaus trotteten und die quietschenden Räder einer Kutsche, nachdem kurz das leise Klirren vom Glasflaschen auf den leeren Straßen wiederhallte. Zweifelsohne lieferte der Milchmann gerade seine Ware aus.
Alles an mir schmerzte, weil ich geraume Zeit in der selben Stellung verbrarcht hatte. Vorsichtig streckte ich meinen steifen, aber zugleich immer noch heftig bebenden Körper, -meine leblosen Beine selbstverständlich ausgeschlossen- der von Unmengen Bettlaken und Decken umwickelt war, die mir so viel Freiraum ließen wie Zwangsjacken. Einige Glieder knackten hörbar, jedoch lockerten sich meine verspannten Muskel ein wenig , die sich anfühlten, als hätte ich mich wochenlang nicht gerührt. Mit Erleichterung spürte ich, wie das Leben in meinen Körper zurückkehrte, das Gefühl mit Steinbrocken gefüllt zu sein nachließ und wie das Blut, das offenbar in meinen Adern eingefroren war, weiter floss.
Ich hob meine zitternde Hand, um mir den den kalten Schweiß von der Stirn zu wischen, der meine Schläfen hinab lief. Mir war heißer als einer Weihnachtsgans im Ofen. Mein zerknittertes Nachthemd klebte an meiner Haut und unter meiner Nachthaube schwitzte ich fies, welche mir Ruby gestern abend über den Kopf gezogen hatte, nachdem sie mir mit geschickten Fingern die Haare auf die Lockenwickler aufgedreht hatte, die jetzt unangenehm und störrisch am Hinterkopf und im Nacken drückten und mein Wohlbefinden nun wirklich nicht förderten, jedoch –wahrscheinlich durch das Gewicht meines Haares unterstützt- für stechende Kopfschmerzen sorgten.
Doch so warm mir auch war, ich versuchte es erst gar nicht, mich aus meinem Gefängnis aus Decken und Laken zu befreien, wusste ich doch zu gut, dass meine Beine –die Schande der Familie, wie es Tante Elizabeth zu sagen pflegte- mich gewiss an meiner Tat hindern würden.
Tatsächlich war ich einst so töricht gewesen den Versuch zu starten, allein aus dem Bett zu kommen und in meine Rollstuhl zu gelangen, da ich bereits früh wach gewesen war und mich äußerst gelangweilt hatte. Es war ein verhängnisvoller Fehler gewesen, der mich heute noch besonders vor meiner Tante und meinem Onkel genierte, denn ich war aus dem Bett gefallen, in den Tiefen des Teppichs versunken und vor Scham und Verlegenheit beinahe gestorben, als der Butler Sebastian mir zur Hilfe eilen musste und ich Tante Elizabeths Beschimpfungen und Spöttelein zu ertragen hatte.
Nein, so etwas würde ich sicherlich nicht noch einmal über mich ergehen lassen. Bereits vor der Erinnerung an dieses peinliche Ereignis graute es mir. Immer wieder aufs Neue verursachte sie mir Gänsehaut.
Meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, in die mein Schlafzimmer getaucht war. Ich erkannte die schweren Samtvorhänge meines Himmelbettes wieder, deren dunkelrote Farbe gewichen war und die nun im Dunkeln schwarz schimmerten. Der schreckliche Traum hatte sich längst in verschwommene Bilder verwandelt, an die ich mich nur noch vage erinnerte.
Hoffentlich beeilt sich Ruby, dachte ich ungeduldig, während ich abwesend an den Spitzen meines Nachthemdes nestelte.
Ich seufzte. Verwunderlich war es nicht, dass mir so heiß war. Der Stoff meines Schlafgewandes war sehr dick, selbst im Hochsommer, aber Tante Elizabeth hatte es mir strikt untersagt, Ruby zu schicken, um mir etwas aus dünnerem Material zu besorgen.
„Lilian, es schickt sich nicht für eine wohlerzogene Dame in solchen Fetzen herumzulaufen“, hatte sie gesagt und mich höchst empört angeschaut. „Das zeigt viel zu viel Haut!“
Dann hatte sie die Arme theatralisch in die Luft geworfen und den Blick zur Decke gerichtet. „Lieber Gott, was habe ich bei diesem Kind nur falsch gemacht? Hat sie nicht ein gute Erziehung bei uns genossen? Habe ich nicht alles für sie getan? Warum ist sie nur so undankbar?“
Meine Augen hatten sich geweitet bei dieser heftigen Reaktion. Die Schuldgefühle hatten an mir genagt wie gierige Mäuse an einem Stück Käse.
Sofort hatte ich mich für mein Unverschämtheit entschuldigt. Einer meiner größsten Ängste war es, meine Tante und meinen Onkel zu enttäuschen. Tief hatte sich diese Furcht in meine Brust gepflanzt, plagte mich, ließ eine Lawine undamenhafter Gefühle völlig überraschend in mir hochkommen, die sich wie eine giftige Flüssigkeit in mir ausbreiteten. Wut, Trauer, Schmerz...
Da war sie wieder, diese kleine Stimme, die mir sagte, welche Schande ich meiner Familie durch meine lästige Behinderung bereitete, ihre Wünsche nie erfüllen könnte, niemals die Dame werden würde, die von allen sehnlichst erwartet wurde -ich war alles, was eine Dame nicht sein sollte. Ich war unselbständig, saß im Rollstuhl, meine Manieren ließen zu wünschen übrig, zumal war ich nicht sonderlich hübsch...
Lilian Evans reiß dich zusammen, ermahnte ich mich und blinzelte hastig die Tränen fort, die über meine glühenden Wangen liefen, für einen salzigen Geschmack auf meinen Lippen sorgten.
Tante Elizabeth hatte recht: Ich musste mich mit meinem Schicksal abfinden und endlich mit dieser Gefühlsduselei aufhören.
Es war ein leises Klopfen, das mich aus meinen trüben Gedanken riss und mich erschrocken zusammenfahren ließ.
Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus und mein Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln.
Ruby!
Die Scharniere der Eichentür meines Zimmers quietschte, als Ruby sie öffnete und mit zögerlichen Schritten eintrat.
„Miss?“, vernahm ich ihre sanfte, zurückhaltende Stimme. „Sind Sie wach?“
„Ja“, antwortete ich betont unbekümmert.
Mit einer schnellen Bewegung fuhr ich mir ein letztes Mal über das Gesicht, um sicher zu stellen, dass Ruby nichts von meinem Gefühlsausbruch bemerkte.
Ruby zog die Samtvorhänge beiseite und das schummrige Licht der kleinen Petroleumlampe, die Ruby hochgedreht hatte blendete einen Moment lang meine noch an die Dunkelheit gewohnten Augen.
Ruby knickste und wünschte mir einen guten Morgen.
„Dir auch einen guten Morgen“, sagte ich.
„Hatten Sie eine angenehme Nacht?“, erkundigte sie sich, während sie mich endlich aus dem Gewirr aus Decken und Laken befreite und mir half, mich aufzusetzen.
„Ja“, log ich und blickte auf meine Hände hinab, in der Hoffnung nicht erwischt zu werden.
Ruby betrachtete mich zweifelnd, eine ihrer schmalen Augenbrauen misstrauisch gehoben, als schenkte sie meinen Worten keinen Glauben.
Mir wurde bewusst, welchen fürchterlichen Anblick ich bot. Meine Wimpern waren noch tränennass, ich war verschwitzt und einzelne Haarsträhnen hatten sich aus den Lockenwicklern gelöst und schauten aus meiner Nachthaube hervor.
Verlegen schob ich eine Locke hinter mein Ohr, die störrisch vor meinem Gesicht tanzte. Eine unangenehme Hitze kroch meinen Nacken hoch. Kein Wunder, dass Ruby mir nicht glaubte. Ein Blinder hätte erkannt, welchen erholsamen Schlaf ich hinter mir hatte.
„Wie spät ist es?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln. Gewiss gehörte es sich nicht zu lügen, aber zu jammern wie ein kleines Kind, dass man unter schrecklichen Albträumen litt war nicht besser.
„Kurz vor neun“, antwortete Ruby, die zu meiner Erleichterung nicht weiter nachhakte, trotz der kleinen Sorgenfalte auf ihrer Stirn –ihr konnte ich nichts vormachen- und holte mein verhasstes Monstrum von einem Rollstuhl, der nach all den Jahren, in denen er gebraucht worden war deutlich angegriffen und abgenutzt aussah.
Überrascht blickte ich sie an und nahm dankbar ihre Hand entgegen, die sie mir hinhielt, um mir in den Rollstuhl zu helfen. Ihr Arm war fest um meine Taille geschlungen und mit vereinten Kräften und nach mehreren ungeschickten Bewegungen schaffte ich es endlich in das riesige Ungetüm.
Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Weshalb weckst du mich erst jetzt?“
Für gewöhnlich war sie bereits um acht Uhr bei mir, da um neun Uhr das Frühstück stattfand.
„Ich dachte, ich lasse Sie ein wenig länger schlafen, wo Sie doch gestern so spät zu Bett gegangen sind“, erklärte sie und das warme Lächeln, das immer etwas Vertrautes ausstrahlte umspielte ihre Lippen. „Machen Sie sich keine Gedanken. Ich habe Sie bei Ihrer Tante und Ihrem Onkel entschuldigt.“
Ich lächelte zurück. „Danke, Ruby!“
Das Dienstmädchen Hope tauchte am Türrahmen auf, ein Tablett mit dem morgendlichen Tee in den Händen, –eine Kräutermischung, die der Arzt mir verschrieben hatte- den ich trank, während Ruby mich ankleidete und frisierte.
Man sah ihr an, dass der Aufenthalt in unserem Haushalt ihr zu schaffen machte. Dunkle Schatten befanden sich unter ihren braunen Augen, deren Lebenslust erloschen war. Ihre ohnehin zarte Statur war noch schmaler geworden, das kastanienbraune Haar, zu einem strengen Knoten zusammengefasst wie es sich gehörte, hatte den schönen Glanz verloren, den ich einst so bewundert hatte, als sie sich bei uns nach Arbeit erkundigt hatte.
Ich spürte, wie sich wieder Mitleid in mir für dieses Mädchen breitmachte. Sie hatte die Wahl zwischen dem Nichts von einem Lohn hier oder einem Leben als arme Magd auf den unsicheren Straßen Londons.
„Guten Morgen, Hope“, begrüßte ich sie höflich.
Gerne hätte ich ihr ein aufmunterndes Lächeln geschenkt, wusste aber, dass es sich nicht für eine Dame meines Ranges schickte Sympathatie gegenüber Hausangestellten zu zeigen.
„Guten Morgen, Miss“, flüsterte sie kaum hörbar und ihre blassen Wangen färbten sich rosa.
Sie knickste und stellte das Tablett mit dem Tee auf meinem Frisiertisch ab, zu dem Ruby mich gerade schob, bevor sie durch den Raum stolperte und die schweren roten Vorhänge der Fenster zurückzog. Graues, trübes Licht erhellte mein Schlafzimmer, ließ die dunklen Möbel und die mit honigfarbenen Holz getäfelten Wände einladend und gemütlich wirken.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster verriet mir, dass der Regen wohl noch eine Weile anhalten würde. Er hatte London in ein graues, verschwommenes Gemälde verwandelt. Dicke Wolken bedeckten den Himmel und die Dächer der Häuser und das Ende des Big Bens waren im dichten Nebel verschwunden.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Miss?“, fragte sie leise, als sie wieder am Türrahmen angelangt war.
„Nein, danke“, sagte ich und nahm vorsichtig ein paar Schlückchen vom heißen Tee. Der angenehme Geruch der verschiedenen Kräuter stieg mir in die Nase. „Du kannst gehen.“
Hope machte erneut einen Knicks und verschwand.
Ich kippte den großen Spiegel des Frisiertisches ein wenig nach vorne und schaute hinein. Grüne, etwas melancholisch dreinblickende Augen, die zu einem schmalen, sehr blassen –ja beinahe käsigen, von Sommersprossen gesprenkelten Gesicht gehörten erwiderten meinen Blick.
Nein, ich war sicherlich nicht jemand, der den Schönheitsidealen userer Zeit entsprach. Die Blässe meiner Haut wirkte ungesund und glich keineswegs dem porzellanfarbenen Ton, den die reichen Frauen als wunderschön bezeichneten. Ich war viel zu zart –nicht geeignet um später Söhne zu gebären.
Ich kämpfte gegen den fast unwiderstehlichen und lächerlichen Drang, dem Spiegel wie ein kleines Kind die Zunge rauszustrecken, als wäre er schuld an dem hässlichen Bild, das er mir zeigte -ein krankes Mädchen, das an einen Rollstuhl gekettet war und an mangelnder frischer Luft litt, da es nur einmal wöchentlich raus durfte. Es handelte sich bei diesem Ausflug selbstverständlich nur um einen kurzen Besuch in unserem Garten und unter strengster Beobachtung, nicht länger als eine Stunde, um meiner schlechten Gesundheit nicht zu schaden.
Ärgerlich biss ich die Zähne zusammen.
Wenigstens sehe ich intelligent aus, versuchte ich mich aufzumuntern, zog die Stirn kraus und presste die Lippen aufeinander, um den Eindruck zu verstärken.
Aber was half das schon? Frauen hatten nur bis zu einem bestimmten Grad gebildet zu sein. Hohe Intelligenz, ein gutes Studium an einer Universität, das alles waren –zu meiner Enttäuschung- Angelegenheiten der Männer.
Bereits im Alter von zwölf Jahren hatte ich davon geträumt zu studieren und einmal ins Ausland zu reisen. Miss Wilkinson-Hume hatte meine Träume mit einem verächtlichen Schnauben als „Kinderspinnerein“ bezeichnet. Eine Frau hatte Zuhause zu bleiben und ihre Familie zu versorgen.
Ich schluckte den Klos in meinem Hals runter. Was war nur los mit mir?
Ruby zog mir die schiefsitzende Nachthaube vom Kopf und begann mein Haar zu öffnen. Ein Lockenwickler nach dem anderen wurde entfernt und meine dunkelroten Haare flossen in dicken Locken bis zu meinen Hüften hinab.
„Miss, ist alles in Ordnung?“, fragte Ruby und hielt inne.
Ich erschrak. Gewiss –sie hatte meinen Kummer bemerkt.
„Natürlich“, antwortete ich mechanisch, hob das Kinn an und sah betont gelangweilt in den Spiegel. „Was sollte denn sein?“ Meine Stimme klang brüchig.
Ruby legte mir sachte ihre zarte Hand auf die Schulter und drückte sie auf eine liebevolle, tröstende Weise.
„Verzeihen Sie mir, Miss, aber das kann ich Ihnen nicht glauben.“ Sie lächelte voller Vertrauen und Güte.
Beschämt senkte ich den Blick auf meine Hände. Ruby war eine dieser guten Feen, die man aus Märchen kannte. Mit ihrem blonden Haar und den himmelblauen Augen ähnelte sie auch denen, die in so vielen Büchern abgebildet waren. Sie war die einzige Person, die mir bisher begegnet war, bei der ich mich nicht verstellen musste, sondern die Maske, die ich trug fortwerfen konnte, obwohl mir das verboten worden war.
Tante Elizabeth missbilligte unsere enge Beziehung. Die Ständegesellschaft erlaubte keine Freundschaft zwischen einer Dame und einer gewöhnlichen Zofe. Etwas Derartiges grenzte an einen Skandal.
„Lilian, sie ist nur eine Kammerzofe“, hatte sie bestimmt gesagt, die Hände an ihre massigen Hüften gestemmt und das letzte Wort fast ausgespuckt. „Nichts weiter.“
Doch so sehr ich mich auch bemühte. Wenn ich in Rubys rundes Gesicht blickte, dessen kindliche Züge erhalten geblieben waren und das Eisberge zum schmelzen brachte, konnte ich nicht anders als Zuneigung für sie empfinden.
„Es ist der Besuch, der erwartet wird, nicht wahr?“, sagte Ruby mitfühlend.
Verwundert schaute ich zu ihr hoch.
„Besuch?“, wiederholte ich verwirrt.
„Na die Familie Dursley, die Ihre Tante eingeladen hat.“
Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ach ja, richtig! Das war heute?“
Ruby nickte.
Ich hatte plötzlich das Gefühl mit eiskaltem Wasser übergossen zu werden. Die Aussicht, dass wir hoch angesehenen Besuch erwarteten gefiel mir ganz und gar nicht. Kein Wunder, dass ich das verdrängt hatte.
Tante Elizabeth war bis jetzt immer peinlich darauf bedacht gewesen, mich von der Außenwelt fern zu halten. Unser Ansehen in der Gesellschaft war für sie das Wichtigste. Würde irgendjemand von meiner Behinderung erfahren, so würde das alles zu nichte machen.
Umso überraschter war ich, als Tante Elizabeth mir ganz entzückt von der „wundervollen, herzlichen Familie Dursley“ erzählte, die sie auf dem Ball der Eltringhams kennengelernt hatte und verkündete,dass sie die Dursleys zum Tee eingeladen hatte.
Mit einem merkwürdigen Etwas im Magen und die Zwiebelsuppe, die es zum Abendessen gegeben hatte, so weit wie möglich von mir entfernt, da mit einem Mal mein Appetit wie weggeblasen schien, hatte ich Tante Elizabeth zugehört, die immerzu von dem Sohn der Dursleys schwärmte.
„Ach, Lilian“, hatte sie geseufzt und ihre Augen hatten wie Sterne gefunkelt. „Vernon ist ein so wunderbarer junger Mann. Ein wahrer Gentleman. Er hat tadellose Manieren und erbt ein Vermögen.“
Irgendetwas stimmte hier nicht, da war ich mir zu hundert Prozent sicher.
„Ruby, kennst du die Dursleys?“, fragte ich, während Ruby mein Haar bürstete und es mit Haarnadeln und kleinen Kämmen hochsteckte.
Sie schüttelte den Kopf und versenkte eine weitere Nadel in den eleganten Haarknoten, dessen Gewicht es mir schwer machte, den Kopf aufrecht zu halten. „Nein! Tut mir leid, Miss.“
„Hmm“, machte ich nachdenklich. „Ich verstehe nicht, warum Tante Elizabeth sie eingeladen hat.“
Ruby zuckte mit den Schultern. „Sie wird ihre Gründe haben.“
Nachdem Ruby mich fertig frisiert hatte und ich den Rest meines nur noch lauwarmen Tees heruntergespühlt hatte, holte Ruby eine Schüssel mit warmen Wasser und half mir beim Waschen.
Ich hob die Hände über den Kopf und Ruby zog mir vorsichtig das Nachthemd aus. Eine Sache, die sich nicht als einfach herausstellte, da Ruby darauf Acht geben musste, meine Frisur nicht wieder zu ruinieren.
„Ruby, wäre es nicht einfacher, wenn du mich erst ankleidest und mir dann die Haare machst?“, fragte ich, als Ruby erleichtert mein Schlafgewand in den Wäschekorb warf.
Sie lächelte ihr liebes Lächeln und begann mich mit einem Lappen kräftig durchzuschrubben. „Gewiss, aber wo bleibt da der Spaß?“
Ich verdrehte die Augen. „Welcher Spaß, bitte?“
Sie grinste nur, griff nach meinem Rollstuhl und rollte mich in meine angrenzende Kleiderkammer, um mich anzukleiden.
Ich konnte mir ein genervtes Stöhnen nicht verkneifen.
„Ich beeile mich, Miss“, versprach Ruby.
Ich nickte widerwillig, das Gesicht verzogen, als würde ich Qualen leiden.
Ankleiden war nicht gerade einer meiner Lieblingsbeschäftigungen. Als wäre es nicht ohnehin eine äußerst umständliche Tätigkeit, bei der ich mir wie eine lebendige Puppe vorkam, wurde sie durch meine lästigen Beine noch erschwert.
Ruby packte mich in meine Unterwäsche und einen Unterrock, dann suchte sie eine hochgeschlossene Spitzenbluse mit Stehkragen und Bündchen an den langen Ärmeln und einen schlichten grünen Rock aus, der an der Taille eng gegürtet wurde –sehr eng. Sie hielt die von ihr ausgewählten Kleider hoch, um sich zu vergewissern, dass ich mit ihrer Wahl zufrieden war.
Ich nickte zustimmend. Für das Frühstück würde beides ausreichen, da das kein besonderer Anlass war. Erst am Nachmittag würde ich mich für unsere Gäste herausputzen müssen.
Während ich mit Schrecken an die unbequemen Kleider dachte, die ich höchst wahrscheinlich heute Nachmittag tragen sollte und dabei erschauderte, da es mir eiskalt den Rücken runterlief, legte mir Ruby das wohl grässlichste Kleidungsstück an, das je erfunden wurde. Ein Korsett.
Ich wusste nicht, wer entschieden hatte, Frauen das Atmen zu verbieten, aber eines Tages würde er dafür bezahlen.
Ich schnappte nach Luft, als sie begann das Korsett zu zuschnüren.
„Ruby, ni-nicht so fest!“, japste ich atemlos.
„Verzeihen Sie, Miss“, sagte sie schuldbewusst.
Ein energisches Klopfen schreckte uns beide auf. Wer war denn das?
Ich wandte mich zu Ruby um, die das Korsett lockerte, so dass mir der Tod durch Ersticken erspart blieb.
„Du erwartest nicht zufällig geheimen Besuch, oder?“, sagte ich lachend.
Ruby spielte mit und nickte grinsend. „Doch, Miss. Ein reizender Herr ist dabei mir den Hof zu machen.“
Wir lachten, als es erneut laut und auffordernd klopfte.
Ohne meine Zustimmung abzuwarten und bevor Ruby oder ich irgendwie reagieren konnten, wurde die Tür aufgerissen und Tante Elizabeth trat aufrecht wie die Königin persöhnlich und mit der Miene eines arroganten Mops herein, der sein Revier kennzeichnen wollte und das ohne Rücksicht auf Verluste.
„Tante Elizabeth!“, entfuhr es mir entsetzt.
Ich spürte, wie ich krebsrot anlief -ich saß hier mit nichts weiter als Unterkleidern und einem halb geschlossenen Korsett am Leib.
„Ruby, verschwinde!“, fuhr sie Ruby grundlos an, meine Verlegenheit völlig ignorierend und deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung zur Tür.
Ruby und ich tauschten einen höchst verwirrten Blick.
„Ich sagte, du sollst gehen!“, fauchte sie angriffslustig.
Ruby zuckte erschrocken zusammen.
„Tante Elizabeth, wa-", setzte ich an, ebenfalls schockiert, obwohl mir Tante Elizabeths Jähzorn bekannt war. Doch kaum hatte ich den Mund geöffnet, unterbrach Tante Elizabeth mich, indem sie heftig den Kopf schüttelte.
„Äh, entschuldigen Sie mich, Miss.“ Ruby knickste rasch, warf mir einen letzten irritierten und zugleich besorgten Blick zu und eilte, den Kopf eingezogen, an Tante Elizabeth vorbei davon.
Tante Elizabeth schlug die Tür so fest zu, dass die Wände wackelten und ein ohrenbetäubender Knall durch die Kammer hallte, der mich wie Ruby zusammenfahren ließ.
Ich merkte, wie ich unbewusst in meinem Rollstuhl zu einem kleinen Häufchen zusammenschrumpfte. Mein Herz pochte rasend und schmerzhaft gegen meinen Brustkorb, eine Welle der Panik überrollte mich unaufhaltsam, gegen die ich mich, trotz aller Bemühungen, nicht wehren konnte. Hastig stolperte ich durch meine Gedanken auf der Suche nach einem Fehler, -vielleicht hatte ich mich ungezogen benommen- den ich getan haben könnte, fand jedoch nichts, was Tante Elizabeth hätte derart echauffieren können.
Mehrere Minuten vergingen, –irgendwann nach hundert hörte ich auf im Kopf atemlos mitzuzählen- ohne dass Tante Elizabeth oder ich uns nur einen Millimeter rührten. Tante Elizabeth hatte sich vor mir aufgebaut, die Hände an die massigen Hüften gestemmt, den grauen Rock ihres Köstüms, das jeden Moment drohte aufzuplatzen, fest gerafft und fixierte mich von oben wie eine Herrin ihre Dienerin, verächtlich und herablassend, die Nase weit in die Luft gehoben. Sie erschien mir plötzlich wie ein Riese, obwohl sie kleiner war als ich, –und ich war nie auffallend groß gewesen- wenn ich nicht gerade im Rollstuhl saß und strahlte eine solche Autorität aus, dass ich noch tiefer in meinen Rollstuhl rutschte, mich im wahrsten Sinne des Wortes dort verkroch wie eine angsterfüllte Maus in ihrem Mauseloch und mich mit aller Kraft wie eine Ertrinkende an die Armlehnen klammerte, als wären diese ein Rettungsring.
Herrgott, was hatte ich denn nun schon wieder falsch gemacht?
Als ich die bedrückende Stille, die zwischen uns herrschte, nicht mehr aushielt, kratzte ich den letzten Rest Mut in mir zusammen und fragte vorsichtig und zögernd: „Ta-tante Elizabeth, ist etwas geschehen?“
„Wünscht man seiner Tante nicht erstmal einen guten Morgen, bevor man solche ungehörigen Fragen stellt?“, tadelte sie mich.
„Verzeih, ich-", ich stockte, dann rieß ich mich zusammen, neigte wie es sich gehörte den Kopf und sagte höflich und so respektvoll wie möglich: „Guten Morgen, Tante Elizabeth.“
Sie nickte zufrieden. „Guten Morgen, Kind.“
Immer noch durchbohrte sie mich mit ihren Blicken. Ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, ihre Lippen waren fest aufeinander gepresst –alles deutete darauf hin, dass sie innerlich kochte und mich wunderte es, dass kein Rauch aus ihren Ohren entwich.
Im nächsten Augenblick geschah etwas, was beinahe dafür gesorgt hätte, dass ich vor Schreck aus meinem Rollstuhl gefallen wäre und angefangen hätte an meinem gesunden Menschenverstand zu zweifeln: Tante Elizabeths Gesichtszüge entspannten sich, wurden weich und liebevoll ,während meine entglitten, der Unglaube war mir ins Gesicht geschrieben.
Tante Elizabeth kam auf mich zu und küsste mich sanft auf die Stirn.
Nun machte sie mir wirklich Angst.
Ich war völlig perplex, nicht in der Lage irgendeine Reaktion hervorzurufen. Statdessen hockte ich da wie angewurzelt und fragte mich, ob ich nicht immer noch träumte.
Vorsichtig, als hätte ich ein Verbrechen begangen, blickte ich zu ihr hoch, die Augen voller stummer Fragen.
Tante Elizabeth räusperte sich mehrmals, bevor sie begann zu sprechen. Ihr tiefe, männliche Stimme war nun hoch und schräg und sollte offenbar freundlich klingen. Ihre Lippen waren zu einem süßlichen Lächeln verzogen.
„Mein liebes Kind, dein Onkel und ich haben dich vor Jahren aufgenommen und für dich gesorgt, obwohl du eigentlich unserer Familie nur Probleme machst mit deiner Behinderung und-"
„Ich habe euch doch gesagt, wie dankbar ich euch bin!“, platzte es aus mir heraus, nachdem ich unsanft wieder in die Realität gerissen wurde.
Wie oft hatte ich diese Worte schon gehört? Hätte ich für jedes Mal Geld verlangt, wäre ich jetzt die reichste Person auf dieser Welt.
„Unterbrich mich nicht, hast du verstanden?“, fuhr sie mich an und war wieder ganz die Alte. Der Zorn war zurückgekehrt, wütend funkelte sie mich an.
„Entschuldige“, murmelte ich schuldbewusst, betrachtete die Maserung des Holzbodens und biss mir auf die Zunge, um keine weitere unartige Bemerkung von mir zu geben.
„Nun, wenn du uns so dankbar bist, dann bist du auch bereit unserer Familie zu helfen, sehe ich das richtig?“, sagte sie bemüht ruhig und atmete tief durch.
„Natürlich“, entgegnete ich sofort und verschwendete keinen Gedanken daran, dass ich es vielleicht bereuen könnte.
Ich nutzte jede Gelegenheit, bei der ich mich erkenntlich zeigen konnte.
Tante Elizabeth nickte. „Gut, und du willst uns auch keine Schande bereiten. Hast du ja schon“, fügte sie mit einem missbilligen Blick auf meine Beine hinzu.
„Nein, will ich nicht“, erwiderte ich und ignorierte geflissentlich den Messerstich ins Herz, den ich bei dem Wort Schande verspürte.
„Ich habe dir ja erzählt, dass ich die Dursleys eingeladen habe“, sagte sie und ihr Gesicht erhellte sich, als würde sie von Gott persöhnlich sprechen.
Ich nickte. Meine Augenbrauen schossen misstrauisch in die Höhe, während ich langsam sagte: „Ja. Das hat mich sehr verwundert.“
„Du hast gesagt, dass du uns keine Schande bereiten willst, sondern deiner Familie helfen willst, richtig?“
„Gewiss, Tante Elizabeth“, sagte ich leicht gereizt und begann ungeduldig mit den Fingern auf einer der Armlehnen zu trommeln.
Worauf um Himmels Willen wollte sie hinaus?
Tante Elizabeth holte tief Luft, zog einen kleinen Hocker heran und setzte sich. Der Hocker knarrte gefährlich, seine zierlichen Beine schienen unter Tante Elizabeths Gewicht kurz davor durchzubrechen. „Lilian, Kind, du hast sicherlich bemerkt, dass wir zur Zeit finanzielle Probleme haben. Die Arbeit deines Onkels ist höchst gefährdet und auch unser kostbares Ansehen.“
Sie hielt inne. Ihre Bitterkeit schnürte mir die Kehle zu. Unwillkürlich erschauderte ich.
„Ja, ich weiß“, flüsterte ich.
„Mein Kind, es gibt eine Möglichkeit, die unsere Familie retten könnte“, sagte Tante Elizabeth sehr langsam und betonte jedes einzelne Wort.
Mein Kopf schnellte hoch. War ich schwerhörig geworden oder...?
„Wirklich?“, rief ich glücklich. „Aber das ist ja wundervoll!“
„Lilian, unsere Rettung wäre“, -Tante Elizabeth legte eine theatralische Pause ein, so wie ein Schauspieler im Theater, der kurz davor war den Höhepunkt eines Stückes einzuläuten-, „eine Verbindung.“
Ich erstarrte –nein, ich gefror zu Eis, denn ich fühlte mich, als wäre ich mit eiskaltem Schnee bedeckt worden.
NEIN! NEIN! NEIN!, schrie ich in meinem Kopf und schloss die Augen, während mich völlige Verzweiflung durchströmte.
Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein.
„Lilian, hörst du mir überhaupt zu?“, vernahm ich eine zornige Stimme, aber sie klang, als würde sie von weit weg kommen und so undeutlich, als würde ich mich unter Wasser befinden.
„NEIN, TANTE ELIZABETH!“, brüllte ich und vergaß jede Etikette, jedes gute Benehmen und jede Höflichkeitsform, die mir die letzten Jahre ins Gehirn gepflanzt worden war. „NICHT MIT MIR!“
Tante Elizabeths Mund klappte auf und hing ihr buchstäblich an den Füßen.
„Ha-hast du mir gerade widersprochen?“, stammelte sie fassungslos.
„Tante Elizabeth, es-es tut mir leid“, stieß ich stockend hervor, als mir bewusst wurde, was ich eben getan hatte und sah, wie ihr Gesicht dunkelrot anlief vor Zorn. „Aber i-ich kann das nicht. I-ich-"
„Und ob du kannst und du wirst“, schrie sie und sprang schäumend vor Wut auf. Der Hocker fiel klappernd zu Boden. „Die Verbindung mit Vernon Dursley ist tadellos und wird uns den Hals retten.“
Ich versuchte vergeblich die Tränen, die sich in meinen Augen gesammelt hatten, zurückzuhalten. „Aber das ist so unfair! Ich kenne diesen Vernon nicht einmal, geschweige liebe ich ihn.“
Tante Elizabeth lachte kalt und freudlos auf. „Liebe? Kind, wach endlich auf! Du bist nur eine Frau und das Leben einer Frau ist niemals fair und so etwas wie Liebe sollte nicht zu ihrem Wortschatz gehören. Abgesehen davon gibt es Liebe überhaupt nicht, außer in dummen Märchenbüchern.“
„Ich werde diesen Vernon niemals heiraten“, hauchte ich trozig unter Tränen. „Du kannst mich nicht dazu zwingen.“
Tante Elizabeth holte aus und verpasste mir eine saftige Ohrfeige.
Ich stieß einen Schrei voller Entsetzen aus und legte meine Hand an meine brennende Wange.
Ich hatte schon einige Zornausbrüche von Tante Elizabeth erlebt, aber niemals zuvor hatte sie mich geschlagen.
Schwer atmend, mit tränenüberströmten Gesicht, in dem sich meine Angst und mein Schrecken wiederspiegelte und am ganzen Leib zitternd schaute ich zu ihr hoch.
Sie war über mich gebeugt, ebenfalls am ganzen Körper bebend, ihre fleischige Hand immer noch erhoben.
„Wie kannst du es wagen?“, brachte sie nach Luft ringend hervor. „Es sollte dir eine Ehre sein mit einem solchen Mann verlobt zu werden und deiner Familie zu helfen. Eine Missgeburt wie du ist das ihrer Familie schuldig.“
„Nein!“, schluchzte ich und brach nun endgültig in Tränen aus. Es tat so weh zu wissen, dass sie recht hatte. „Bitte, hör auf!“
Tante Elizabeth schüttelte den Kopf, wirbelte auf dem Absatz herum und stampfte zur Tür. Ihre Hand lag bereits auf der Klinken und hatte sie heruntergedrückt, als sie sich noch einmal zu mir umdrehte und mich mit einem festen und drohenden Blick fixierte. „Ich erwarte von dir dein bestes Benehmen. Solltest du irgendetwas tun, was uns vor den Dursleys blamieren könnte, wirst du dir wünschen nie geboren worden zu sein.“
Mit einem weiteren lauten und ohrenbetäubenden Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Ich sank erschöpft in meinem Rollstuhl zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen. Alles in mir sträubte sich dagegen, die eben geschehenen Ereignisse aufzunehmen und zu überdenken, aber trotz aller Bemühungen überrollten sie mich immer wieder aufs Neue, durchbohrten mich schmerzhaft wie Eissplitter.
Verzweifelt stellte ich fest, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als diesen Dursley zu heiraten. Was sollte denn sonst aus mir werden?
Würde ich mich nicht fügen, würde Tante Elizabeth mich höchst wahrscheinlich auf die Straße setzen, außerdem war ich das meiner Familie schuldig.
Wieder machte sich Verzweiflung in mir breit. Nur bei dem Gedanken an eine Heirat drehte sich mir der Magen um. Erneut verbarg ich das Gesicht in den Händen und schluchzte unaufhörlich, bis ich mich plötzlich zu weit nach vorne lehnte und unsanft auf den Holzboden fiel.
Ich spürte die blauen Flecken, die ich bestimmt bald an mir vorfinden würde nicht einmal, es war mir gleich. Es war mir auch gleich, dass hier nie wieder hochkommen würde, wenn mir niemand aufhalf. Alles war mir gleich.
Ich kauerte auf dem Boden und weinte und weinte mit dem Gefühl nie wieder aufhören zu können, während die Zeit an mir vorbeirauschte
und mir wie eine Ewigkeit vorkam. Wut, Schmerz, Verzweiflung, Trauer plagten mich, tobten wie ein Wirbelsturm in mir und ich schlang die Arme um meinen Körper, als könnte ich ihn vor diesen schrecklichen Empfindungen schützen, sie von mir fern halten.
Irgendwann –ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren- ließ ich meinen Blick, unklar durch die vielen Tränen, durch die Kammer wandern.
Ich entdeckte meinen Handspiegel keinen Meter von mir entfernt auf einem dreibeinigen Tischchen. Ruby hatte ihn wohl dahin gelegt, damit ich mich später bewundern konnte. Ich streckte so weit wie möglich den Arm aus und ergriff ihn.
Ein kleiner, silberner Handspiegel, verziert mit goldenen Mustern.
Ich wusste nicht, warum ich das tat. Ich hätte es auch nachher nicht erklären können, aber in diesem Moment befahl irgendein zerstörter Teil in mir, diesen Spiegel mit aller Kraft gegen die Wand zu werfen. Er prallte ab, zerbrach und Glassplitter prasselten wie Regen die Wand herab.
Beinahe hätte ich gelacht. Mein Leben war genau so zerbrochen wie dieser kleine, unbedeutende Spiegel.

Liebe ist, wenn Verstand und Logik dich verlassen
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Zuletzt geändert von Jane Austen am So 16 Aug, 2009 10:39, insgesamt 4-mal geändert.

Lycidia
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Beitragvon Lycidia » Mo 29 Jun, 2009 17:38

Cool geschrieben und das ganze mal in eine andere Zeit zu versetzen ist echt eine gute Idee. Nur James als Todesser kann ich mir noch nicht so genau vorstellen.....
WANN GEHT´S WEITER????
Ich hoffe du magst diese Geschichte noch fertig schreiben. BITTE! :)
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Beitragvon Jane Austen » So 09 Aug, 2009 10:31

@Lycidia: Hallo, vielen Dank für dein Review! Ich habe mich sehr gefreut. Und es geht weiter... ein Wunder!

Gefühle sind das, was du nicht beschreiben kannst

3. Verkehrte Welt

Etwas Warmes und Weiches legte sich behutsam auf eine meiner bebenden Schultern. Ich hätte auch ohne den Kopf zu drehen und auf die kleine, zarte Hand zu blicken sofort und mit keinerlei Zweifel erraten, wem sie gehörte. Es war nicht nur der vertraute Geruch von Jasmin und Lavendel, der es mir verriet, sondern das angenehme Gefühl, das diese Berührung in mir auslöste. Ein winziger, schwacher Trost, der sich wie in Zeitlupe in der leeren Hülle breitmachte, die einst mein Körper gewesen war und nun jede Empfindung aus sich vertrieben hatte.
Ruby schaffte es in jeder noch so hoffnungslosen Situation einen Funken Zuversicht in mir zu wecken und mich in diesem Fall aus einem schwarzen und kalten Loch zu holen, in dem ich schon eine Ewigkeit gefangen zu sein schien.
Langsam schaute ich auf und sah in Rubys himmelblauen Augen, die mich voller Sorge und Kummer musterten. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien mir unwillkürlich alles völlig fremd, die Verbindung mit diesem Dursley war nur ein verschwommenes, weit entferntes Bild, Tante Elizabeths tiefe Stimme ein leises Echo in meinem Kopf, doch dann überrollte mich wieder die grauenvolle Realität, ganz plötzlich und unerwartet wie ein Vulkanausbruch, und die Tränen begannen erneut zu fließen, Verzweiflung und Angst kehrten zurück.
„Ruby, ich kann das nicht!“, schrie ich beinahe hysterisch, warf die Arme in die Luft und vergaß, dass Ruby wahrscheinlich überhaupt nicht wusste, wovon ich sprach. „Ich kann das einfach nicht!“
„Pschsch, ganz ruhig“, machte Ruby beruhigend, schob eine Locke hinter mein Ohr, die sich aus dem Haarknoten gelöst hatte und umarmte mich fest. „Es wird alles gut, Miss.“
Ich riss mich von ihr los, mein lautes Schluchzen schien meine Worte zu verschlucken.
„N -nein, nichts ist gut!“
Es war mir ungewiss, warum ich mich derart echauffierte. Mein ungezogenes und vor allem undamenhaftes Verhalten hätte nicht nur bei meiner ehemaligen Erzieherin für einen Herzinfarkt gesorgt, die mir beigebracht hatte, wie wichtig doch die Ehe mit einem reichen Mann für eine Frau war, wenn sie Respekt in der Gesellschaft haben wollte. Offenbar war das Ziel einer jeden Erziehung, stricken und nett lächeln abgesehen, das besagte Mädchen heiratsfähig (Wie scheußlich sich das anhörte!) zu machen. Spätestens jetzt würde man feststellen, dass dieses Ziel bei mir gründlich fehlgeschlagen war.
Ich hatte was die Ehe betraf nie die Begeisterung aufbringen können, die von mir erwartet wurde, geschweige denn es geschafft, sie als Ehre anzusehen.
Freilich war mir bewusst, dass eine Frau keine andere Wahl hatte, es sei denn sie verkaufte ihren Körper irgendwelchen widerlichen Männern, die sie mit ihren lüsternen Blicken regelrecht verschlangen. Dennoch –der Gedanke an eine Verbindung bereitete mir mehr als nur Bauchschmerzen.
Ich hatte durch meinen Onkel und meiner Tante genug über die angeblichen Vorteile der Ehe erfahren.
Ihre Hochzeit war ebenfalls arrangiert und ein Freudenfest gewesen, da mein Onkel bereits damals in der Bank von London tätig und kein unbeschriebenes Blatt in der Klassengesellschaft gewesen war und meine Tante eine großzügige Mitgift beigetragen hatte. Bei den beiden lief es von Anfang nicht gerade harmonisch ab und als sich herausstellte, dass meine Tante nicht im Stande war meinem Onkel Söhne zu schenken, war alles endgültig verloren. Während sie sich immer mehr auseinander lebten, wandte sich mein Onkel anderen jungen Dingern zu.
Ich hatte zufällig einmal mitbekommen, wie der Kammerdiener meines Onkels ein Mädchen in einem tief ausgeschnittenen Kleid und zerzaustem Haar entlassen hatte. In dieser Nacht hatte ich wie so oft kein Auge zugetan und beide aus dem Fenster beobachtet. Das Mädchen hatte gerade das Haus verlassen, worauf dann der Kammerdiener leise die Tür verschlossen hatte. Klein und töricht wie ich war, hatte ich am nächsten Morgen Miss Wilkinson-Hume von dem Vorfall erzählt und sofort harte Schläge von ihrem treuen Freund dem Stock kassiert und zwar solange, bis die Haut meiner Hände dunkelrot und wund gewesen war. Es war ein genauso dummer Fehler gewesen wie der, als ich neugierig fragte, was denn genau die Hochzeitsnacht sei und das ohne mich zu genieren. Bei beiden Malen hatte ich schwören müssen, nie wieder ein Wort über solche ungehörigen Themen zu verlieren. Als Gattin hatte man die Untreue des Mannes hinzunehmen und den Mund zu halten.
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Und da sollte ich mich tatsächlich mit dieser Ehre abfinden?
Was willst du denn sonst machen?, fragte ich mich bitter. Als Tochter des Hauses ist es deine Pflicht.
Mein Gesicht fühlte sich taub an, so als hätte man mir sämtliches Blut ausgesaugt und als ich die Hände davor schlug, um einen weiteren endlosen Strom Tränen zu verbergen begann es zu brennen, als würde es in Flammen aufgehen.
„Was soll ich nur tun?“, hauchte ich heiser wie ein alter Mann in meine Handflächen. „O Gott, was soll ich nur tun?“
„Sie beruhigen sich erstmal, Miss“, sagte Ruby bestimmt und kramte ein weißes Taschentuch mit Spitzen aus dem Ärmel ihrer Arbeitskleidung.
Sie wischte mir sanft die Tränen von den Wangen und reichte es mir dann, damit ich mir die Nase putzen konnte.
„Ich kann mir vorstellen, dass das alles ein Schock für Sie ist“, fuhr sie mitfühlend fort, während sie vergeblich versuchte, mir zurück in den Rollstuhl zu helfen, aber mein Körper wollte nicht gehorchen, er fühlte sich an wie ein großer, schwerer Felsbrocken.
„Woher weißt du -?", setzte ich verwirrt an, aber der Satz blieb mir im Hals stecken.
Vor lauter Verwundreung vergaß ich für einen schönen Augenblick all die Sorgen, die mein Inneres zerbrochen hatten wie eine Glasscheibe in tausende Scherben, die sich nie mehr zusammenkleben ließen und Ruby nutzte das aus, um mich endlich in meinen Rollstuhl zu hieven, in dem ich schließlich erschöpft zusammensank.
„Ach, Sie wissen doch, dass es da so gewisse Wege gibt“, meinte sie leichthin. Sie zwinkerte mir zu und grinste spitzbübisch.
Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen, auch wenn mir im Moment nicht danach war. Ruby belauschte des Öfteren auf meinen Befehl hin die Gespräche meines Onkels und meiner Tante, denn denen würde es nicht im Traum einfallen „das Kind“ an den Problemen und Ereignissen des Hauses teilhaben zu lassen.
„Mit Verlaub, Miss, aber Ihre Tante ist ein alter, jähzorniger, gemeiner Stinkstiefel“, sagte Ruby ärgerlich. „Wie diese Kuh Sie behandelt –unerhört!“
Es ließ sich nicht vermeiden –ich prustete los.
„Du meinst wohl Mops“, kicherte ich. „Ich finde, mit diesen Hunden hatte sie schon immer Ähnlichkeit...“
„Aber, Miss“, tadelte Ruby mich gespielt empört, ihr Grinsen wurde noch breiter.
Ich lachte. Es tat so gut, als würde es den Schrecken der letzten Stunde, der wie Gift durch meine Adern floss, aus mir heraussaugen.
„Wir sollten Sie fertig ankleiden“, sagte Ruby schließlich. „Sie erkälten sich noch.“
Mein Lachen erstarb. Ich musste hinunter zum Frühstück. Hinunter zu Tante Elizabeth.
„Seien Sie unbesorgt, Miss, Madam wird Sie gar nicht beachten“, versprach sie, während sie die übriggebliebenen Schnüre des Korsetts festzog und ich nach Luft schnappte. „Sie ist damit beschäftigt uns durchs Haus zu jagen. Selbstverständlich muss alles perfekt sein, wenn die Gäste eintreffen.“ Nun klang sie leicht gereizt.
Mir war es gleich, ob es sich nicht schickte. Genervt verdrehte ich die Augen.
Ich wurde aus Tante Elizabeth einfach nicht schlau. Sie lebte beinahe ausschließlich davon die reichen Leute mit ihrem hohen Rang zu beeindrucken und sich bei ihnen einzuschleimen.
Es musste doch Wichtigeres geben als Geld, mit dem man prahlen konnte oder beim Tee über die Armen zu spotten und über die hübschesten Kleider zu diskutieren.
Klassengesellschaft. Was für ein Unsinn, dachte ich und hätte fast verächtlich geschnaubt.
Im nächsten Moment zuckte ich erschrocken zusammen. Was waren das für Gedanken, die da in meinem Kopf herumspuckten? Nicht nur, dass es äußerst undankbar war sich über meine Familie zu ärgern, die mich aufgenommen hatte. Nein, ich hörte mich auch noch an wie ein Sozialist!
Ich nagte nervös an meiner Unterlippe, als die Schuldgefühle mich wie Messerstiche durchbohrten.
Mir blieb keine Zeit, um mich meiner Gewissensbisse hinzugeben, da der Big Ben so unüberhörbar laut und auffordernd zehn Uhr ankündigte, dass mir die Ohren schmerzten und mich daran erinnerte, dass ich längst hätte beim Frühstück sein sollen.
Nachdem Ruby mich in Windeseile fertig angekleidet hatte, schob sie mich rasch zum Frisiertisch, um mein Haar wieder ein wenig zu ordnen.
Ich schaute in den großen Spiegel und hätte vor Entsetzen beinahe aufgeschrien. Ein fahles, völlig übermüdetes Gesicht mit geröteten, verquollenen Augen, die weit aufgerissen waren blickte zurück.
„So kann ich doch niemandem unter die Augen treten!“, jammerte ich. „Ich sehe schrecklich aus.“
Ruby versuchte mit allen erdenklichen Mitteln meinen Anblick weniger angsteinflößend aussehen zu lassen. Kaltes Wasser, gefrorene Steaks, Scheußlichkeiten von Salben und Unmengen weißer Puder, in deren dicker Wolke ich inzwischen verschwunden war und schließlich ließ es sich nicht mehr aufschieben und ich läutete das Glöckchen nach Sebastian, damit der mich runter ins Esszimmer trug.
Keine zwei Sekunden später stand der Butler vor mir, lang und dürr, das Gesicht hager und von leichenhafter Blässe, das Büschel graues Haar sorgfältig zur Seite gekämmt.
Er verneigte sich tief und ich bewunderte ihn dafür, dass er das in seinem Alter noch so geschmeidig und problemlos schaffte.
„Sie haben nach mir gerufen, Miss?“, sagte er in seinem nüchternen Ton, verzog etwas den Mund und offenbarte seine spitzen Zähne.
Ich schätzte Sebastian sehr. Er war zuverlässig, führte den Haushalt gut und verteilte die Aufgaben gerecht, so dass die Hausangestellten nicht klagen konnten, dennoch wirkte er manchmal wie ein lebendiges Skelett ohne Emotionen. Nie hatte ich ihn auch nur ein kleines Seufzen ausstoßen sehen, nie den Hauch eines Lächelns auf seinen schmalen Lippen entdeckt.
„Würden Sie mich bitte ins Esszimmer bringen“, verlangte ich verlegen und spürte, wie meine Wangen sich rot färbten. Obgleich ich diese Frage jeden Tag stellte, war sie mir höchst unangenehm. Aber wer fühlte sich schon wohl, wenn er wie ein Säugling überall hingeschleppt werden musste, weil er es selber keine Treppe runter schaffte?
Ohne ein weiteres Wort hob Sebastian mich hoch, als wäre ich eine Feder –ja, für sein Alter hatte er eine erstaunliche Kraft- und stieg die mit einem dicken Läufer belegte Treppe hinunter. Rubys Schnaufen und Stöhnen deutete darauf hin, dass sie sich mit meinem Rollstuhl abmühte und uns folgte.
Sebastian führte mich durch die kleine Eingangshalle in den Salon.
„Aber nein, Sebastian“, protestierte ich. „Ich muss ins Esszimmer.“
„Verzeihen Sie mir, Miss, aber Madam sagte mir, ich solle Sie in den Salon bringen“, erwiderte Sebastian.
Panik ergriff mich und ich schluckte hart. Ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet.
Das verhieß nichts Gutes. Ganz im Gegenteil.
„Ruby, würdest du bitte...“, setzte Sebastian an, als wir an der großen Eichentür des Salons angelangt waren.
„Natürlich.“ Ruby ließ meinen Rollstuhl los und öffnete hastig die Tür, so dass Sebastian mit mir eintreten konnte.
Wegen des fürchterlichen Unwetters, das draußen immer noch tobte und das durch das riesige Fenster deutlich zu erkennen war, hatte der große Raum eine einladende Wirkung auf mich. Ein Feuer prasselte im Kamin, sein Knistern erfüllte die schöne Ruhe und es warf unruhige Schatten auf den dunkelroten Teppich. Die mit honigfarbenen Holz verkleideten Wände glänzten, ihre goldene Verzierung trat so hervor, dass sie selbst ein Blinder nicht hätte übersehen können und ich war fest davon überzeugt, dass das Tante Elizabeths Absicht war. Das Sofa war mit einem neuen gestreiften Stoff bezogen worden, auch die Stühle, die um den zierlichen dreibeinigen Tisch standen hatte neue Sitzkissen. Sogar die Kerzen des Kronleuchters waren ausgewechselt worden und in Tante Elizabeths kostbarer chinesischer Vase schimmerte bunt ein frischer Blumenstrauß.
Ich wusste nicht, ob spöttisch lachen oder schreien sollte. Warum wurde ich das Gefühl nicht los, dass das Ganze für die Dursleys veranstaltet wurde?
Sebastian legte mich vorsichtig auf dem Sofa ab. Mit einem erleichterten Seufzen sank ich dort zusammen und entdeckte meinen Onkel in seinem Ohrensessel hinter der Tageszeitung versteckt, in seinen Hausmantel gehüllt und auf seiner Pfeife kauend, deren beißender Geruch mir in die Nase drang.
„Guten Morgen, Onkel Albert“, begrüßte ich ihn schüchtern und nickte ihm höflich zu.
Onkel Albert fuhr erschrocken zusammen. Sein rundes, blasses Gesicht tauchte hinter der Zeitung auf und seine grauen Augen blinzelten mich verwirrt und leicht benommen an, als hätte ich ihn gerade aus einer anderen Welt gerissen.
„Oh, guten Morgen, Lily, Liebes“, sagte er, nachdem er sich gefangen hatte. Er lächelte mich liebevoll, aber so müde an, als hätte er wochenlang nicht geschlafen, was die Augenringe erklären würde.
Unbewusst hoben sich auch meine Mundwinkel. Onkel Albert war gewiss kein Engel, -allein schon seine Affären bewiesen das- trotzdem liebte ich ihn sehr. Er war der Einzige, der mich verteidigte, wenn Tante Elizabeth wieder an mir etwas nicht passte.
Als er meinen Kosenamen aussprach, wurde mir ganz warm ums Herz. Seit meinem vierten Lebensjahr war ich für ihn nicht Lilian, sondern Lily, weil er der Meinung war, dass würde viel schöner klingen.
Plötzlich wurde Onkel Albert ernst, die Falten schienen sich noch tiefer in sein Gesicht zu graben. Er strich sich langsam über den Zwirbelbart, dann durch das dünne, weiße Haar.
Er nahm das Monokel ab, bevor er begann zu sprechen: „Lily, deine Tante erzählte mir, was zwischen ihr und dir vorgefallen ist und ich muss zugeben, ich bin äußerst enttäuscht von dir, mein Kind. Ich verstehe, dass du Angst hast, aber willst du uns nicht helfen?“
Das warme Gefühl, das mich eben noch durchströmte, war wie weggeblasen, statdessen überstürmten mich Wut und Trauer, meine Finger gruben sich in das Sofakissen.
„Tante Elizabeth hat dir gesagt, dass du mir Schuldgefühle einreden sollst, nicht?“, stieß ich hervor und die Tränen bahnten sich den Weg nach draußen.
„Nein, gewiss nicht!“, donnerte eine wütende Stimme. „ Dass du es wagst, etwas Derartiges zu behaupten –haben wir dir denn nichts beigebracht?“
Tante Elizabeth kam auf uns zu gestampft, zornrot und schien auf die doppelte Größe angeschwollen zu sein.
„Nun ist aber gut!“, rief Onkel Albert, jetzt ebenfalls verärgert. „Es reicht! Ich will nichts mehr davon hören. Lily“, -er wandte sich zu mir um und fixierte mich mit einem festen Blick, der keinen Widerspruch duldete-, „ich verlange von dir, dass du deine Pflicht als Tochter erfüllst, verstanden?“
Ich konnte es nicht fassen. Was war nur mit meinem lieben Onkel geschehen?
Heiß liefen mir die Tränen über die Wangen, während die völlige Verzweiflung mich von innen auffraß.
Es war ein leises Klopfen, das mich zumindest in diesem Augenblick aus dieser Hölle befreite.
„Nicht jetzt!“, fauchte Onkel Albert.
Obwohl Onkel Albert es nicht gestattet hatte, trat Sebastian ein und ich wäre ihm dafür beinahe aus Dankbarkeit um den Hals gefallen.
„Verzeihen Sie bitte die Störung, Sir, aber da ist ein gewisser Mr Remus Lupin, der Sie sprechen will“, sagte Sebastian entschuldigend, nachdem er sich respektvoll verbeugt hatte.
Tante Elizabeth schlug entsetzt die Hände vor den Mund. „Sicherlich hat er uns gehört. Was wird man nur von uns denken?“
Ich versuchte mit aller Kraft sie nicht zu ohrfeigen. Innerlich kochte ich regelrecht vor Zorn, ich bebte am ganzen Leib, mein Herz pochte wild gegen meinen Brustkorb.
„Lupin?“, wiederholte Onkel Albert stirnrunzelnd, dann fiel ihm offenbar etwas ein. „Ach ja! Wir waren verabredet. Lassen Sie ihn rein, Sebastian.“
Dieser nickte. „Jawohl, Sir.“
Kaum war Sebastian fort, zog Tante Elizabeth ein Taschentuch aus dem Ärmel ihres Kostüms und begann grob mein Gesicht abzuwischen.
„Wenn dich jemand so sieht...“, murmelte sie panisch.
Ich ließ es zu, mein Körper hatte sich wieder in eine leblose Hülle verwandelt und ich nahm so gut wie nichts mehr wahr, alles war weit weg, undeutlich. Ich hörte nur ein Rauschen, sah nur Verschwommenes, fühlte nur kalte Leere...


Meine Stirn war fest gegen die kühle Fensterscheibe gepresst, mein Blick starr auf den Regen gerichtet, der laut auf das schwarze Kopfsteinpflaster prasselte, auf die Dächer von Kutschen, auf die Schirme und Köpfe von Menschen, die durch die Straßen eilten.
Ich befand mich in meinem Zimmer und bestickte ein Taschentuch. Das Muster war nicht gleichmäßig, Tante Elizabeth würde es sicherlich verbrennen.
Wenn es etwas gab, das ich mehr verabscheute als Klavierspielen war es Stricken. Nicht nur, weil ich noch schlechter darin war als im Klavierspielen und mir ständig in die Finger stach, sondern weil es eine weitere langweilige Tätigkeit war, die mir zeigte, dass ich alles das, was eine Dame konnte nicht beherrschte. Es war, als wäre ich in eine völlig falsche Welt geboren worden.
„Das muss dieser Mr Lupin sein“, riss Ruby mich aus meinen Gedanken und deutete mit einem Nicken zum Fenster. Sie hockte neben mir und stopfte Socken.
Neugierig blickte ich nach draußen und sah einen hellbraunen Haarschopf, der zu einem schlanken Mann in einem schäbigen Anzug gehörte.
Ruby wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
„Was der wohl wollte?“, fragte sie sich leise.
Ich zuckte mit den Schultern, während ich Mr Lupin weiter beobachtete.
Er schaute sich um, als wollte er sich vergewissern, dass niemand da war. Dann ganz plötzlich verschwand er spurlos, als hätte man ihn wie eine Schachfigur vom Feld genommen, Laub wirbelte auf.
Zutiefst erschrocken wich ich zurück, blinzelte, rieb mir über die Augen.
Das ist unmöglich, sagte ich mir. Deine Phantasie hat dir einen Streich gespielt. Du bist erschöpft, das ist es...
„Miss, ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Ruby besorgt.
„J-ja“, stammelte ich. Mir wurde bewusst, dass mein Mund offen stand, rasch biss ich die Zähne zusammen. „Alles bestens.“
Was hätte ich auch sagen sollen? Ruby, stell dir vor, Mr Lupin ist wie von Zauberhand verschwunden!
Nein, das war unmöglich...oder?

Liebe ist, wenn Verstand und Logik dich verlassen

Lycidia
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Beitragvon Lycidia » Mo 31 Aug, 2009 20:05

Guut. Du hast wirklich einen tollen Stil, jedenfalls finde ich das.
Allerdings hast du in deiner Einleitung geschrieben, Zauberer dürften keinen Kontakt zu Muggeln haben, was macht also Lupin bei Lilys Verwandten?
Ich hoffe du wirst mich demnächst durch eine Fortsetzung aufklären. Also los, ich warte.. :D
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F. de Goya