Ich hoffe, es gibt noch jemanden, den es interessiert und ihr habt etwas Spass daran.
Das nächste kommt dann nach meinem Urlaub am 16.8.
Kapitel 46: Die letzte Erinnerung
Harry konnte kaum ein Auge zumachen, er war sich relativ sicher, dass seine Freunde in der Gewalt von Voldemort waren, obwohl es auch möglich war, dass Voldemort ihm wie schon bei Sirius bewusst durch eine Vision in die Irre führen oder aus der Reserve locken wollte. Angestrengt dachte er über seine nächsten Schritte nach, denn er wollte so schnell wie möglich wissen, ob seine Freunde in Sicherheit waren oder nicht. Erschöpft wälzte er sich hin und her. Er hatte den ganzen Tag lang alle Erinnerungen seiner Eltern aus dem Schrank nacheinander angesehen. Alle bis auf eine einzige. Er hatte gehofft, dadurch noch Informationen über die Todesser, die Horcruxe, ihre Verstecke oder über den Schatz der Geheimniswahrer sammeln zu können. Doch leider war seine Hoffnung vergebens. Auch wenn er manch interessantes Detail über seine Eltern und ihre Freunde erfuhr, gab es in den Erinnerungen seiner Eltern keine weiteren Hinweise auf den Schatz der Geheimniswahrer oder Voldemorts geheime Horcruxe. Harry musste also mit den Informationen weiterkommen, die er bis jetzt gesammelt hatte.
Es blieb nur noch die eine Erinnerung übrig, die von dem Tag, an dem er den Todesfluch von Lord Voldemort überlebt hatte und seine Eltern ums Leben kamen.
Harry wusste, dass es ihm sehr schwer fallen würde, diese Erinnerung anzuschauen, doch er wollte unbedingt alle Erinnerungen kennen, bevor er das Versteck verließ. Eigentlich hatte er sich das für den nächsten Tag bewahren wollen, dachte, ein wenig Schlaf davor würde gut tun. Doch nun merkte er, dass er zum Schlafen noch zu aufgewühlt war und stand wieder auf und ging zum Regal. Mit zitternden Händen umfasste er das kleine Fläschchen mit der wirbelnden Flüssigkeit darin und öffnete es vorsichtig. Er gab den silbrigen Inhalt in das Denkarium und beobachtete die dicke Flüssigkeit, wie sie darin umheschwirrte. Nachdem er noch einmal ganz tief Luft geholt hatte schloss er die Augen, als er sich kopfüber in das Denkarium gleiten ließ.
Da er die Augen zunächst geschlossen ließ, fühlte es sich zunächst an, als ob er sich im freien Fall befinden würde. Harry sträubte sich dagegen, die Augen wieder aufzumachen, da er damit rechnete, jeden Moment Lord Voldemort gegenüber zu stehen. Wie er damals wohl ausgesehen hat, an dem Tag, als er ihn zu töten versuchte, dachte Harry bei sich.
Da ihm zunehmend übler wurde, entschloss sich Harry, die Augen endlich zu öffnen und was er sah, ließ ihn keuchen, denn er hatte keinen festen Boden unter den Füßen. Unter ihm konnte er Wolken erkennen, links und rechts von ihm blauen Himmel. Die Sonne blendete ihn und direkt vor sich konnte er die Umrisse von Hagrid auf dem Motorrad von Sirius Black erkennen, wie er durch die Luft jagte. Harry begriff, dass er in einer Erinnerung seines Freundes Hagrid war, er musste wohl bereits auf dem Weg nach Godrics Hollow sein.
Langsam drosselte Hagrid das Tempo und unwillkürlich versuchte Harry, sich an dem dröhnenden Motorrad festzuhalten, obwohl das scheinbar in einer Erinnerung gar nicht notwendig war. Zwischen den Wolken unter ihm konnte Harry vereinzelte Häuser und ein größeres Waldstück erkennen, als das Motorrad immer mehr an Höhe verlor. Harry wollte sich an Hagrids Rücken festkrallen, doch er griff ins Leere und fiel kopfüber nach unten. Gespannt wartete er darauf, aufzuschlagen, doch er prallte nicht auf dem Boden auf, sondern stand im nächsten Augenblick neben Hagrid, der das Motorrad vor einem halb zerstörten Haus abstellte. Aus einem Fenster im ersten Stock stiegen Rauchschwaden auf, das Dach darüber war teilweise eingestürzt. Während Hagrids rechte Hand seinen Regenschirm fester umfasste, blickte er nach links und rechts die Straße entlang.
Niemand war zu sehen und Hagrid murmelte „Alohomora“, als er seinen Regenschirm direkt auf den Türknauf richtete. Das Schloss sprang auf, die Tür öffnete sich quietschend und Harry drehte sich der Magen um. Ihm bot sich ein Bild des Schreckens. James Potter lag in der Eingangstür zum Wohnzimmer mit aufgerissenen Augen und einem entstellten Gesichtsausdruck. Hagrid kniete neben ihm nieder und schloss James Augen behutsam. Der Halbriese blickte sich um und hoch den Leichnam von Harrys Vater vorsichtig hoch, lief quer durch die verwüsteten Räume und legte ihn vor dem Kamin im Wohnzimmer ab. Mit geschlossenen Augen sah James Potter aus, als ob er friedlich schlafen würde. Rechts über seinem Ohr war etwas verschmiertes Blut zu sehen, James musste beim Versuch, Voldemort aufzuhalten, gestürzt sein. Sonst hatte James keine äußerlich sichtbaren Verletzungen.
Harry ging dichter heran, während Hagrid leise so etwas ähnliches wie ein Gebet murmelte. Bei dem Anblick seines toten Vaters zogen sich Harrys Eingeweide zusammen, seine Narbe begann zu pochen und er konnte die Tränen nicht zurückhalten. Harry kniete neben dem Kopf seines Vaters nieder und versuchte ihn zu streicheln. Doch sein Griff ging ins Leere und an der Stelle, wo seine Hand seine Vater zu berühren schien, stiegen silbrige Sonnenstrahlen ihm entgegen und blendeten ihn. Niemals zuvor war ihm der Schmerz seiner Narbe so gleichgültig wie in diesem Moment. „Du hast es geschafft, Daddy. Ich habe überlebt und das verdanke ich dir.“, flüsterte er mit schluchzender Stimme seinem Vater zu. „Ich schwöre dir, dass ich ihn erledigen werde.“ Harry schluckte und konnte nicht weitersprechen.
Von oben aus dem halb zerstörten ersten Stock hörte er plötzlich das Weinen eines Babys. Erst ganz leise und wimmernd, dann etwas lauter werdend. „Harry!“, stieß Hagrid plötzlich hervor, drehte sich zum Treppenhaus um und stieg eilig die Stufen zum Obergeschoss hinauf. Harry konnte seinen Dad plötzlich nur noch ganz verschwommen sehen und folgte Hagrid widerwillig. „Dann hatte Dumbledore also doch Recht, beim heiligen Zentauren!“ Oben sah alles noch stärker verwüstet aus, Möbelstücke waren umgestürzt, die Tür zum Kinderzimmer und ein Teil der Wand daneben mussten mit ungeheurer Wucht herausgesprengt worden sein. Als er an Hagrid vorbeispähte, sah Harry ein kleines Kinderbettchen, aus dem das Weinen gekommen war. Er wusste, dass er sich gleich selbst als Baby sehen würde und hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Ängstlich blickte er sich im Zimmer um.
Rechts neben dem Kinderbett lag ein weiterer lebloser Körper und Harry sah das rote Haar seiner Mutter und war froh, dass ihr Gesicht durch die Haare verdeckt war.
Als er wieder nach oben blickte, sah er, wie sich Hagrid über das Harrys Bettchen gebeugt hatte und das Baby genauer betrachtete. Harry sah auf der Stirn des Babys klar und deutlich die blitzförmige Verletzung, die Haut ringsum war feuerrot und wies Brandspuren auf. Er fasste mit der Hand unwillkürlich an seine eigene Stirn, um die Narbe zu ertasten. „Ganz ruhig, mein lieber kleiner Junge. Hagrid bringt dich gleich zu Dumbledore und dort bist du in Sicherheit. Armes kleines Harrylein, nun bist du ganz allein.“ Hagrid kämpfte mit den Tränen, richtete sich auf und blickte sich um. Dann ging er in die Hocke und deckte Lily Potters Leichnam mit einer Decke zu und trug auch sie an Harry vorbei nach unten zum Kamin. Kurze Zeit später kam Hagrid wieder nach oben, wickelte er das Baby in seine Babydecke ein, hob es aus dem Bettchen und trug es vorsichtig hinaus zum Motorrad.
Harry fragte sich, warum Hagrid das Haus und seine toten Eltern in diesem Zustand zurückließ und er vermutete, dass sicherlich Dumbledore oder ein anderes Ordensmitglied später über das Flohnetzwerk in das Haus seiner Eltern kommen würde und seine Eltern begraben würde. Hagrids Auftrag war es offenbar nur gewesen, ihn als Baby da rauszuholen.
Mit einem großen festen Tuch band Hagrid sich das Baby fest um den Bauch, so dass es nicht wegrutschen konnte. Dem Baby schien das zu gefallen, sich ganz dicht an Hagrid anschmiegen zu können, denn es schien sich merklich zu beruhigen und blickte Hagrid mit großen Augen neugierig an. Dabei konnte Harry nun die dicken Tränen erkennen, die inzwischen über Hagrids Wangen liefen und sich in seinem Bart verloren. Als Hagrid im Garten stand und auf das Haus zurückblickte murmelte er: „Warum? Warum Lily und James? Wird das denn niemals aufhören?“ Hagrid putzte sich mit einem handtuchgroßen Taschentuch die Nase und dann startete er das Motorrad und verschwand mit dem Baby am Himmel, während sich für Harry alles um ihn herum verschwamm und sich zu drehen begann.
Harry spürte, wie er auf dem Teppichboden vor dem Denkarium landete und er fühlte eine Trauer und einen Schmerz, wie er sie bislang nur bei Cedrics, Sirius’ und Dumbledores Tod empfunden hatte. Die toten Körper seiner Eltern vor sich zu sehen, war ein schlimmes Erlebnis für ihn und er war sich sicher, dass diese Bilder nun auf ewig in seinem Kopf bleiben würden und er sie niemals vergessen würde. Andererseits spürte er trotz allen Schmerzes, dass diese Erinnerung für ihn persönlich sehr wichtig war, weil sie wie ein fehlendes Glied in der Kette war. Er hatte seine Eltern in all den Erinnerungen erlebt, wie sie wirklich waren und diese letzte Erinnerung machte ihm grausam bewusst, dass er sie nie wirklich lebendig erleben können wird.
Seine Eltern waren für ihn gestorben, um ihn vor Voldemort zu schützen, damit er weiterleben konnte, nur deshalb waren sie nicht mehr da. Harry fühlte sich an ihrem Tod schuldig. Ohne ihn, ohne die Prophezeihung, hätte Voldemort sie sicher niemals aufgesucht und sie nun bestimmt noch am Leben. Er hatte seinen Eltern nur Unglück gebracht und wäre am liebsten selbst tot, nur um seinen geliebten Eltern nahe zu sein.
Doch dann musste er an Hagrid denken und daran, wie liebevoll er mit den sterblichen Überresten seiner Eltern und mit ihm als Baby umgegangen war. Als er daran dachte, wurde Harry klar, dass er sich nicht aufgeben durfte. Dann wäre alles umsonst gewesen. Hagrid, seine Freunde und alle Zauberer im Land brauchten ihn nun dringend, um sich aus der Schreckensherrschaft von Voldemort zu befreien. Hagrid hatte sein Leben auch aufs Spiel gesetzt, um Harry zu retten. Hagrid hat immer an ihn geglaubt. Er kann und darf ihn nicht enttäuschen.






