Reinhard Mey

Denkarius
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Reinhard Mey

Beitragvon Denkarius » Di 10 Jul, 2007 02:29

Ich weiss, dass ich von vielen Usern hier Kopfschütteln für diesen Thread hier ernten werde, aber ich finde, dass Reinhard Mey einfach ein Künstler ist, der in der Öffentlichkeit oft völlig falsch wahrgenommen wird und vorschnell in die falsche Schublade gesteckt wird.

Jedenfalls hat er seit Jahren eine sehr konstante Fangemeinde, seine Konzerte sind Monate im Voraus ausverkauft und seine Liedtexte müssen sich in keinem Gedichtband verstecken.

Sie beschäftigen sich mit allen Lebensbereichen, sind lustig, ernst, nachdenklich, erheiternd und immer sehr treffend und auf den Punkt genau formuliert. Man erkennt sich darin selbst so oft wieder und staunt, wie dieser Mann es fertig bringt, solche Kunstwerke zu erschaffen.

Um das den Usern in diesem Forum näher zu bringen werde ich hier jede Woche einen Liedtext von Reinhard Mey posten und würde mich freuen, wenn die eine oder andere Diskussion darüber entstünde.

Beginnen will ich mit einem Lied, dass einen kleinen Tribut an Reinhard Meys Heimatstadt darstellt, die auch die meine ist. - Berlin!

Das Lied stammt aus dem Jahr 1990:

Mein Berlin


Ich weiß, daß auf der Straße hier kein einz‘ger Baum mehr stand,
Ruinen in den Himmel ragten, schwarz und leergebrannt.
Und über Bombenkrater ging ein Wind von Staub und Ruß.
Ich stolperte in Schuhen, viel zu groß für meinen Fuß,
Neben meiner Mutter her, die Feldmütze über den Ohr‘n,
Es war Winter ‘46, ich war vier und hab gefror‘n,
Über Trümmerfelder und durch Wälder von verglühtem Stahl.
Und wenn ich heut die Augen schließe, seh‘ ich alles noch einmal.

Das war mein Berlin.
Den leeren Bollerwagen übers Kopfsteinpflaster zieh‘n,
Das war mein Berlin.

Da war‘n Schlagbäume, da waren Straßensperren über Nacht,
Dann das Dröhnen in der Luft, und da war die ersehnte Fracht
Der Dakotas und der Skymasters, und sie wendeten das Blatt.
Und wir ahnten, die Völker der Welt schauten auf diese Stadt.
Da war‘n auch meine Schultage in dem roten Backsteinbau,
Lange Strümpfe, kurze Hosen, und ich wurd‘ und wurd‘ nicht schlau.
Dann der Junitag, als der Potsdamer Platz in Flammen stand,
Ich sah Menschen gegen Panzer kämpfen mit der bloßen Hand.

Das war mein Berlin.
Menschen, die im Kugelhagel ihrer Menschenbrüder flieh‘n.
Das war mein Berlin.

Da war meine „Sturm- und Drangzeit“, und ich sah ein Stück der Welt,
Und kam heim und fand, die Hälfte meiner Welt war zugestellt,
Da war‘n Fenster hastig zugemauert und bei manchem Haus
Wehten zwischen Steinen noch die Vorhänge zum Westen raus.
Wie oft hab ich mir die Sehnsucht, wie oft meinen Verstand,
Wie oft hab ich mir den Kopf an dieser Mauer eingerannt.
Wie oft bin ich dran verzweifelt, wie oft stand ich sprachlos da,
Wie oft hab‘ ich sie geseh‘n, bis ich sie schließlich nicht mehr sah!
Das war mein Berlin.
Wachtürme, Kreuze, verwelkte Kränze, die die Stadt durchzieh‘n.
Das war mein Berlin.

Da war‘n die sprachlosen Jahre, dann kam die Gleichgültigkeit,
Alte Narben, neue Wunden, dann kam die Zerrissenheit.
70er Demos und die 80er Barrikaden, Kreuzberg brennt!
An den Hauswänden Graffiti: Steine sind kein Argument.
Hab‘ ich nicht die Müdigkeit und die Enttäuschung selbst gespürt?
Habe ich nicht in Gedanken auch mein Bündel schon geschnürt?
All die Reden, das Taktieren haben mir den Nerv geraubt,
Und ich hab doch wie ein Besess‘ner an die Zukunft hier geglaubt.

Das war mein Berlin.
Widerstand und Widersprüche, Wirklichkeit und Utopien.
Das war mein Berlin.

Ich weiß, daß auf der Straße hier kein einz‘ger Baum mehr stand,
Ruinen in den Himmel ragten, schwarz und leergebrannt.
Jetzt steh‘ ich hier nach so viel Jahr‘n und glaub‘ es einfach nicht.
Die Bäume, die hier steh‘n, sind fast genauso alt wie ich.
Mein ganzes Leben hab‘ ich in der halben Stadt gelebt?
Was sag‘ ich jetzt, wo ihr mir auch die andre Hälfte gebt?
Jetzt steh‘ ich hier, und meine Augen sehen sich nicht satt
An diesen Bildern: Freiheit, endlich Freiheit über meiner Stadt!

Das ist mein Berlin!
Gibt‘s ein schön‘res Wort für Hoffnung, aufrecht gehen,
nie mehr knien!?

Das ist mein Berlin!


Quelle: Reinhard Mey
Zuletzt geändert von Denkarius am So 15 Jul, 2007 13:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Serena » Di 10 Jul, 2007 08:52

Achja.. Reinhard Mey.. da muss ich immer an meinen Ex - Freund denken..
Wir haben viel zusammen Reinhard Mey gehört.. aber so richtig kennen tue (ich hasse dieses Wort!) ich keines seiner Lieder.Ich weiß nur, das er immer sehr viele schöne Texte schreibt und die Musik dazu auch durchaus auch immer sehr schön ist.
Sorry, das ich nichts beitragen kann. ;)
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Beitragvon Denkarius » Di 10 Jul, 2007 09:41

Als Abwandlung von "Es gibt keine Maikäfer mehr"? :lol:
Das kenn ich noch gar nicht...

Schön, dass es schon soviel Resonanz hier gibt.

@Grünauge: Stimmt, er spielt sehr sehr gut Gitarre und seine Konzerte sind äußerst beeindruckend, er steht wirklich da allein mit der Gitarre und das fast 3 Stunden. Trotzdem wird es nie langweilig und er entfacht eine Superstimmung. Kann ich also nur empfehlen.

Als Nachbar soll er ja nicht ganz so einfach sein, da muss ich doch gleich das nächste Lied posten, weil es da gerade so gut zu passt (Baujahr 1996):


Irgendein Depp bohrt irgendwo immer

Ob im größten Saal, ob im kleinsten Zimmer:
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Ein Bohrmaschinenrambo bohrt wie besessen,
Hält die Black & Decker wie ‘ne Smith & Wesson.
Patronengurt dübelgespickt unter den Armen,
Der kennt keine Gnade, der kennt kein Erbarmen,
Malt ein Kreuz auf den Putz, zielt und legt an,
Drückt skrupellos ab und dann bist du dran!
Ob am hellerlichten Tag oder im Sternenschimmer:
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Das Leben lehrt uns, das ist nun mal so:
Irgendein Depp bohrt immer irgendwo!

Ich hab‘ ‘nen Nachbarn mit drei unerträglichen Gören
Und einer singt vorm Radio laut mit zu den Fischer Chören.
Ich habe Nachbarn, die von spät bis früh Techno hören
Und einer schnarcht, wie wenn zur Brunftzeit die Hirsche röhren.
Ich hab ‘ne Nachbarin, die kichert, gluckst und stöhnt,
Das ist alles ganz o.k., ich hab‘ mich gut dran gewöhnt.
Aber im Erdgeschoß, da wohnt so‘n bauchiger Berserker *)
Im pink-grau-gelben Joggingdress, ein echter Heimwerker
Mit Stich- und Gehrungssäge und Hochdruckreiniger
Ein Sadist, ein Folterknecht, ein schlimmer Werkzeugpeiniger!
Der setzt im Keller seinen Schlagbohrer in Stahlbeton
Und dann hat bis zu Dachstuhl ‘rauf das ganze Haus was davon!

Ob im größten Saal, ob im kleinsten Zimmer:
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Der bohrt sich in Extase in blindwütigem Eifer,
Der kriegt Schaum vor‘n Mund und sabbert grünen Geifer.
Da hilft kein Stromausfall, da hilft kein Voodoozauber,
Jeder Psychopath hat einen Accuschrauber
Ohne Netz, allzeit bereit im ganzen Haus
Fräst und schleift und schmirgelt er auf Deubel komm raus.
Da hilft kein Flehen und da auch hilft kein Gewimmer:
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Ob im Keller, in der Kammer, in der Küche, im Klo:
Irgendein Depp bohrt immer irgendwo!
Ich sitz‘ im Liegestuhl im Garten der Pension „Waldesfrieden“,
Welch lieblich milder Ferientag ist mir da heute beschieden!
Der Zeisig tiriliert vergnügt, die Buchfinken schlagen,
Die Schnepfe piept, der Kuckuck ist am Kuckucksagen.
Ein Windhauch säuselt zärtlich durch das Chlorophyll,
Ein Sonnenstrahl umkost mich sanft in diesem Idyll.
Doch in das Bienensummen und das Zirpen der Rohrdommel
Mischt sich da nicht das Quietschen einer Kabeltrommel?
Und in das Flügelflattern des Zitronenfalters
Das metallische Klicken eines Abzugschalters?
Ein hämmerndes Knirschen kreischt durch die Allee:
Das ist der fleiß‘ge Herbergsvater mit seiner AEG!

Ob im größten Saal, ob im kleinsten Zimmer:
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Ein Dünnbrettbohrer, ein Baumarktleerkäufer,
Ein Elektroantriebtäter, kurz: Ein Amokläufer!
Schon lang nichts mehr am Hut mit Skatspiel‘n oder Sex, ey,
Für den zähl‘n nur noch Winkelschleifer und Trennhexe!
Der gönnt sich keine Ruhe und keine Rast,
Solange, wie noch irgendwo ein Loch hinpaßt.
Bohrerwechsel, ja. Aufgeben? Nie und nimmer!
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Ohne Sinn und Verstand, dafür brutal und roh.
Irgendein Depp bohrt immer irgendwo!

Mein Damenbesuch ist jetzt schon wirklich guter Dinge
Ich bin charmant, ich rasple Süßholz, ich tänzle und singe.
Sie hat mich grade übermütig in den Po gekniffen,
Jetzt rechne ich natürlich gern mit weit‘ren Übergriffen,
Starte schon mal die CD mit Franz Liszts „Liebestraum“
Doch da steht plötzlich dieses Dröhnen zwischen uns im Raum.
Und die Bilder an den Wänden hüpfen und tanzen,
Das war‘s! Der Bohrer in der Wand, der Tod aller Romanzen.
Erst schrill und hoch wie Zahnarzt und dann grollendes Gefräse,
Mein Gott, der bohrt die ganze Wand zu Schweizer Käse.
Tut mir leid Fräulein Ingeborg, es hat nicht sollen sein,
Mit diesem Bosch im Nacken fällt mir gar nichts mehr ein!
Ob im größten Saal, ob im kleinsten Zimmer:
Irgendein Depp bohrt irgendwo immer!
Doch die härteste Prüfung für Psyche und Ohren
Ist die quälende Stille plötzlich nach dem Bohren,
Das Wissen, es kann jeden Moment wieder einsetzen
Oder nicht, oh, dieser Zweifel ist zum Nervenzerfetzen.
Du hörst nur deinen Puls, du hälst den Atem an und bang
Wartest du starr – manchmal tagelang!
Denn Bohren ist schlimm, aber nicht Bohren ist schlimmer,
Irgendein Depp bohrt irgendwann immer.
Man weiß nie warum, man fragt sich wieso,
Irgendein Depp bohrt immer irgendwo!


Quelle: Reinhard Mey
Zuletzt geändert von Denkarius am So 15 Jul, 2007 13:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon KevAllstar » Di 10 Jul, 2007 14:28

Über den Wolken ist auf jedenfall ein sehr schönes Lied.

Ansonsten erinnere ich mich vor allem an relativ lustige Texte, die ich von früher kenne. Immer wenn ich mit meinem Vater früher Auto gefahren bin hat er WDR 4 gehört, und da lauefn wohl öfters solche Lieder..
"It ain´t over ´till it´s over" - Rocky Balboa

Aufstieg ´08, Meisterschaft ´09, Champions League ´10!
(man wird ja wohl noch träumen dürfen ;-) )
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Beitragvon Denkarius » Mi 11 Jul, 2007 08:59

Klar ist über den Wolken schön, aber bei weitem nicht das beste von ihm. Für mich ist es noch nicht einmal unter meinen persönlichen Reinhard Mey Top-Ten Liedern.

Deshalb stört es mich immer ein wenig, wenn er von Musikkritikern darauf reduziert wird und gar in die Schlagerecke :shock: gestellt wird.

Als die Kommission für die Echo-Verleihung ihn 1999 in der Kategorie Schlager ehren wollte, hat er die Einladung in einem offenen Brief dankend abgelehnt und diese Einstufung durchaus als Beleidung aufgefasst.
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Beitragvon Denkarius » Mi 11 Jul, 2007 10:32

Stimmt, das Lied ist toll, er hat aber bei einem Konzert vor ein paar Jahren auch mal gesagt, dass er inzwischen eine richtige alte "Rampensau" wäre...

Ich denke er ist Profi durch und durch, kennt mit den Jahren seine Marotten und bereitet sich perfekt vor. So spielt er noch immer am Nachmittag jedes Konzerttages sein komplettes (!) Programm in der Garderobe vor dem Spiegel durch. D.h. am Abend vor dem Publikum singt er jedes Lied an dem Tag schon zum zweiten Mal...
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Beitragvon Wehwalt » Mi 11 Jul, 2007 10:42

Zirpen der Rohrdommel

??? Eine Rohrdommel zirpt ??? Hat der schon jemals eine gehört?
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Beitragvon Denkarius » Mi 11 Jul, 2007 11:36

Ich denke schon. Er wohnt im Norden Berlins unweit des Havelufers und da soll es im Schilf welche geben. Und ein Haus auf Sylt hat er ja auch noch. Die Laute der Rohrdommel sind zugegebenermaßen dumpfer und nicht wirklich zirpend, vielleicht hat er aber ein paar Junge im Netz zirpen gehört :wink:
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Beitragvon Antike Runen » Mi 11 Jul, 2007 11:43

*lacht*
Das berühmte Reinhard Mey-Picking - eine Gitarrenzupftechnik, die ich als Teenie in Perfektion beherrschte und bei jedem Lagerfeuer brauchte....
*verträumt in Erinnerungen schwelgt*

Bei 'In meinem Garten' habe ich immer geheult.
Und zum Standard-Repertoire gehörte bei mir auch immer 'Der Pfeifer', um wieder etwas unterhaltsamer zu werden. Leider konnte ich nie sonderlich gut pfeifen....

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Beitragvon ~Hermine_Granger~ » Sa 14 Jul, 2007 22:45

Ich hab vor ein paar Tagen eine CD von ihm bei Media Markt gesehn.. da hab ich mir gedacht, da muss ich mal reinhören ;)

Also ich find die Lieder, die drauf waren, gar nicht schlecht, aber ich glaube, auf die Dauer könnte ich so etwas nicht hören. Hin und wieder.. gerne! :)
Erinnerungen sind das , was Ihren Körper von innen wärmt. Zugleich können
Erinnerungen Sie innerlich in Stücke reißen. (Kafka am Strand)

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Beitragvon Denkarius » So 15 Jul, 2007 13:50

Tja, was kann man schon auf die Dauer hören...?
Welche CD war es denn?

Hier nochmal ein lustiges Lied aus 1996 über die unerschöpflichen Varianten des menschlichen Gesäßes:

Pöter

Immer wieder streif‘ ich mit verklärtem Blick durch Wald und Flur,
Und ich kann mich gar nicht sattsehn, an der Vielfalt der Natur,
Und ich werd‘ nicht müd‘, den Reichtum und die Launen
Und den Aberwitz der Schöpfung zu bestaunen:
Kugelfisch, Rohrdommel, Steinlaus, Milbe, Maibock, doch indes,
Die schönste, bunte Vielfalt hat das menschliche Gesäß:

Es gibt dicke Pöter,
Und todschicke Pöter,
Es gibt selbstbewußte „ich-fang‘-alle-Blicke“-Pöter.
Pöter, damit kannst du Geldschränke aufbrechen,
Und die allen DIN-Vorschriften widersprechen.
Es gibt bleiche Pöter
Und steinreiche Pöter,
Es gibt „ich-verbitte-mir-alle-Vergleiche“-Pöter.
Manche Pöter dienen dem Gesetz der Schwerkraft als Beweis,
Manche kriegen den deutschen Landwirtschaftspreis!

Es gibt ehrliche Pöter,
Brandgefährliche Pöter,
Es gibt völlig unerklärlich, unentbehrliche Pöter,
Pöter, die die ganze Last des Erdballs tragen,
Pöter, die beim Abschied leise „Servus“ sagen.
Es gibt ebene Pöter,
Gottgegebene Pöter,
Immer-voll-im-Trend und immer voll danebene Pöter.
Manche hat die Vorsehung zum Staatsoberhaupt auserkor‘n,
Manche sehn immer nur aus wie‘n Arsch mit Ohr‘n.

Es gibt wunderliche Käuze und die sammeln voller Fleiß
Zuckerwürfel, Kronenkorken, Briefmarken und all so‘n Scheiß,
Und die ordnen sie in langen, dunk‘len Wintern
In Ihre Alben ein. Und ich? Ich sammle Hintern.
Aber streng nach Katalog und wenn der Frost vorm Hause klirrt,
Sortiere ich meine Südpole, daß mir‘s warm ums Herze wird:

Es gibt zackige Pöter,
Und stiernackige Pöter.
Es gibt splitterfasernackige, pausbackige Pöter.
Es gibt stirnrunzelnde, es gibt sorgenvolle
Und welche, die gehn durch jede Gesichtskontrolle.
Es gibt faltige Pöter,
Ganz gewaltige Pöter,
Vielgestaltig, mannigfaltig, doppelspaltige Pöter
Und manch gutmütigen Pöter, der still in der Hose hängt,
Bis er die oben off‘ne Richter-Skala sprengt!

Es gibt eklige Pöter,
Es gibt klägliche Pöter,
Es gibt unerträglich, unsäglich alltägliche Pöter.
Es gibt Pöter, die sehn aus, als ob sie schielen,
Pöter, die schon leicht ins Kanzlerhafte spielen.
Es gibt niedliche Pöter,
Es gibt friedliche Pöter,
Es gibt ziemlich unterschiedlich appetitliche Pöter.
Es gibt Pöter, die tun – jawoll! – nur immer ihre Pflicht,
Es gibt Pöter, die gibt es einfach nicht!

Gern verschenk‘ ich meine Freundschaft, gern verschenk‘ ich mein Vertrau‘n.
Einst glaubt‘ ich, du mußt den Menschen nur tief in die Augen schau‘n
Und du kannst dich ihrer Treue sicher wähnen,
Doch ich sah viel falsches Lächeln, falsche Tränen!
Heute schau ich auf die Pöter, ich schau nicht mehr ins Gesicht,
Denn eins habe ich begriffen: Pöter lügen nicht!

Es gibt ruppige Pöter,
Es gibt schuppige Pöter,
Blitzeblanke, drei-Tage-Bart, oder struppige Pöter.
Zeitgeistpöter und Pöter vom alten Schlage.
Pöter oder nicht Pöter, das ist die Frage!
Es gibt verschrumpelte Pöter
Und verkrumpelte Pöter,
Völlig ahnungslose, total überrumpelte Pöter,
Unschuldige Pöter, gnadenlos in Hüfthalter gepreßt,
Mehr als sich uns‘re Schulweisheit träumen läßt!

Es gibt coole Pöter,
Es gibt schwule Pöter,
Es gibt die: Kuckuck,-ich-gehe-noch-zur-Schule-Pöter.
Manche haben kecke Grübchen in den Backen,
Andre wieder können Kokosnüsse knacken.
Es gibt geschwungene Pöter,
Ungezwungene Pöter,
Gedrungene, gehüpfte wie gesprungene Pöter.
Es gibt Pöter, die sehn aus wie eine Schiffschlacht vor Kap Horn
Und beim nächsten Mal sing‘ ich euch was von vorn.
Es gibt ranke Pöter
Und „Nein danke“ Pöter.
Es gibt blanke, „schnell, Versteck‘ dich hier im Schranke“ Pöter,
Pöter, die zwängen sich nachts in eine Fessel
Und am Tage in einen Ministersessel!
Es gibt stille Pöter,
Es gibt schrille Pöter,
Es gibt Glitzer und Pailletten in der Rille Pöter.
Manche Pöter bläh‘n sich auf und werden wirklich ganz enorm
Und sind wie geschaffen für die Uniform!

Es gibt grollende Pöter,
Es gibt schmollende Pöter
Und mit ‘nem jovialen Arschzwinkern, wohlwollende Pöter…


Quelle: Reinhard Mey
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Beitragvon ~Hermine_Granger~ » Mo 16 Jul, 2007 10:10

Oh Gott, das hab ich mir nicht gemerkt. Und selbst wenn, dann hätte ich es jetzt wieder vergessen :lol:
Erinnerungen sind das , was Ihren Körper von innen wärmt. Zugleich können
Erinnerungen Sie innerlich in Stücke reißen. (Kafka am Strand)

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Beitragvon Denkarius » Mi 25 Jul, 2007 17:00

Hier mal ein Text, der zeigt, mit welchem Einsatz der Herr Mey auch gerne politische Mißstände in unserem Lande beim Namen nennt:

Sei wachsam

Ein Wahlplakat zerrissen auf dem nassen Rasen,
Sie grinsen mich an, die alten aufgeweichten Phrasen,
Die Gesichter von auf jugendlich gemachten Greisen,
Die Dir das Mittelalter als den Fortschritt anpreisen.
Und ich denk’ mir, jeder Schritt zu dem verheiß’nen Glück
Ist ein Schritt nach ewig gestern, ein Schritt zurück.
Wie sie das Volk zu Besonnenheit und Opfern ermahnen,
Sie nennen es das Volk, aber sie meinen Untertanen.
All das Leimen, das Schleimen ist nicht länger zu ertragen,
Wenn du erst lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen:
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!
Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Du machst das Fernsehen an, sie jammern nach guten, alten Werten.
Ihre guten, alten Werte sind fast immer die verkehrten.
Und die, die da so vorlaut in der Talk-Runde strampeln,
Sind es, die auf allen Werten mit Füßen rumtrampeln:
Der Medienmogul und der Zeitungszar,
Die schlimmsten Böcke als Gärtner, na wunderbar!
Sie rufen nach dem Kruzifix, nach Brauchtum und guten Sitten,
Doch ihre Botschaft ist nichts als Arsch und Titten.
Verrohung, Verdummung, Gewalt sind die Gebote,
Ihre Götter sind Auflage und Einschaltquote.
Sie biegen die Wahrheit und verdrehen das Recht:
So viel gute alte Werte, echt, da wird mir echt schlecht!

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!
Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Es ist ‘ne Riesenkonjunktur für Rattenfänger,
Für Trittbrettfahrer und Schmiergeldempfänger,
‘ne Zeit für Selbstbediener und Geschäftemacher,
Scheinheiligkeit, Geheuchel und Postengeschacher.
Und die sind alle hochgeachtet und sehr anerkannt,
Und nach den schlimmsten werden Straßen und Flugplätze benannt.
Man packt den Hühnerdieb, den Waffenschieber läßt man laufen,
Kein Pfeifchen Gras, aber ‘ne ganze Giftgasfabrik kannst du kaufen.
Verseuch’ die Luft, verstrahl’ das Land, mach ungestraft den größten Schaden,
Nur laß dich nicht erwischen bei Sitzblockaden!
Man packt den Grünfried, doch das Umweltschwein genießt Vertrau’n,
Und die Polizei muß immer auf die Falschen drauf hau’n.

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!
Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Wir ha’m ein Grundgesetz, das soll den Rechtsstaat garantieren.
Was hilft’s, wenn sie nach Lust und Laune dran manipulieren,
Die Scharfmacher, die immer von der Friedensmission quasseln
Und unterm Tisch schon emsig mit dem Säbel rasseln?
Der alte Glanz in ihren Augen beim großen Zapfenstreich,
Abteilung kehrt, im Gleichschritt marsch, ein Lied und heim ins Reich!
„Nie wieder soll von diesem Land Gewalt ausgehen!“
„Wir müssen Flagge zeigen, dürfen nicht beiseite stehen!“
„Rein humanitär natürlich und ganz ohne Blutvergießen!“
„Kampfeinsätze sind jetzt nicht mehr so ganz auszuschließen.“
Sie zieh’n uns immer tiefer rein, Stück für Stück,
Und seit heute früh um fünf Uhr schießen wir wieder zurück!

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!
Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Ich hab’ Sehnsucht nach Leuten, die mich nicht betrügen,
Die mir nicht mit jeder Festrede die Hucke voll lügen,
Und verschon’ mich mit den falschen Ehrlichen,
Die falschen Ehrlichen, die wahren Gefährlichen!
Ich hab’ Sehnsucht nach einem Stück Wahrhaftigkeit,
Nach ‘nem bißchen Rückgrat in dieser verkrümmten Zeit.
Doch sag die Wahrheit und du hast bald nichts mehr zu lachen,
Sie wer’n dich ruinier’n, exekutier’n und mundtot machen,
Erpressen, bestechen, versuchen, dich zu kaufen.
Wenn du die Wahrheit sagst, laß draußen den Motor laufen,
Dann sag sie laut und schnell, denn das Sprichwort lehrt:
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd.

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!
Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!
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Beitragvon Denkarius » Sa 17 Nov, 2007 04:15

Neues von Reinhard Mey:

Mit diesem Brief schlägt er die Einladung zu "Wetten dass ...?" aus und beweist damit einmal mehr Rückgrat und Konsequenz. Keine Ahnung, warum sie ihn da nicht ein Lied singen lassen wollten. Vielleicht wollten sie ihm auch diktieren, welchen Titel er singen soll...

Hier sein Brief:

Reinhard Mey hat geschrieben:8. Dezember ZDF 20.15 Uhr "Wetten, dass?" aus Graz - ???

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe „Wetten, daß?“-Redaktion,

gestern Abend habe ich die Sendung aus Leipzig gesehen und versucht, mich in die Grazer, für die ich als „und viele andere“ vorangekündigt wurde, hineinzudenken. Dabei ist mir deutlich geworden, was ich schon schon immer wusste: Ich bin ein Mann der Bühne und erst danach ein Erzähler auf dem Sofa.

Als Sänger in eine Sendung wie „Wetten, daß?“ zu gehen, ohne zu singen, wäre wie zum Kindergeburtstag antreten, aber beim Topfschlagen nicht mitmachen zu dürfen. Dabei meine ich mit Singen nicht, Lieder häppchenweise zwischen zwei Anekdoten von der Couch aus einstreuen, oder die „Hammerhits“ auf Zuruf anspielen, sondern einen professionellen Show-Act.

Meine Geschichten sind in meinen Liedern, aber ich bin kein launiger Plauderer. Ich bin seit 32 Jahren glücklich mit derselben Frau zusammen, es ist kein spektakuläres Outing von mir zu erwarten, ich habe kein Ratgeber-Buch zu promoten, mein aktuelles 24. Album ist auf Platz 1 in die Charts eingestiegen. Mein Publikum findet ganz allein den Weg in meine 60 Konzerte in den großen Hallen Deutschlands, der Schweiz und Österreichs im Herbst 2008 – die größten sind heute schon ausverkauft, Graz übrigens auch - was also soll ich erzählen?

Aber ich habe ein gutes Dutzend neuer Lieder in Landessprache, von denen ich weiß, daß sie auch das Wetten-dass-Publikum erfreuen könnten. Wie wär’s zum Beispiel mit „Ich brauche einen Sommelier!“ aus dem aktuellen Album – schöner kann man doch zwischen Johann Lafer und Amy Winehouse nicht vermitteln!

Ich bin Chansonnier, kein Comedian, ich bin kein Spaßmacher, ich bin Liedermacher. Ich bin seit 40 Jahren ein Mann der Bühne, wenn Sie in meinem 41. also wirklich keinen Platz für mich auf der Bühne haben, dann denke ich, haben wir alle mehr davon, wenn ich in der Sendung aus Graz auf dem Sofa bleibe – zu Haus, auf meinem eigenen.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhard Mey


Was haltet ihr davon?
Amo vitam, amo generem,
tamen quare sum sola.
Amo rosam, desidero pacem
tamen quare sum sola.

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Beitragvon Denkarius » Mi 21 Nov, 2007 16:00

Nicht alle auf einmal... :lol:
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